
Jean-Claude Vannier - Jean-Claude Vannier et son orchestre de mandolines
Ipecac / Rough TradeVÖ: 14.02.2025
Großes Kino – auch ohne Film
"Then I got into trouble / I started drinking / I've been a bartender, a garbage man, a fire-eater, a night porter, a gutter sweeper, a beggar." Unprätentiös erzählt das Booklet zu "Jean-Claude Vannier et son orchestre de mandolines" die Handlung eines Stummfilms, in dem ein gebrochener Mann mit ungeradem Lebenslauf seiner Jugendliebe wiederbegegnet. Der Clou: Jener Film existiert nicht. Komponistenlegende Jean-Claude Vannier schrieb einen rein instrumentalen Quasi-Soundtrack für ein fiktives cineastisches Werk.
Zum ersten Mal in seiner jahrzehntelangen Karriere komponierte Vannier eigens Lieder für die Mandoline. Das Zupfinstrument faszinierte den heute 81-Jährigen bereits in seiner Kindheit: Mit seinen Eltern besuchte der kleine Jean-Claude oft den im Süden der französischen Hauptstadt gelegenen Parc Montsouris, in dem der Mandolin' Club de Paris, ein Zupforchester, regelmäßig auftrat. Vanniers lebenslange emotionale Verbindung zahlt sich nun aus: "Moi, ma mandoline (Me, my mandolin)" führt das so eingängige wie traurige Leitmotiv des Albums ein. Vincent Beer-Demander an der Mandoline und Grégory Daltin am Akkordeon zerreißen einem das Herz. Der Minimalismus ist bereits nach 40 Sekunden passé, nun setzt das gesamte albumtitelgebende Mandolinenorchester mit angemessener Grandezza ein.
Bittersüß-beschwingte Kompositionen wie "Il y avait des éléphants (There were elephants)" vertonen positive Erinnerungen des namenlosen Protagonisten und lockern mit Akkordeonmelodien die vorherrschende Melancholie auf. Selten erschien das Wort "Kopfkino" so angebracht wie bei der Umschreibung dessen, was Vanniers dezent instrumentierte Stücke wie "La 2CV rouillée (The rusty 2CV)", eine Ode an das 1949 erstmalig produzierte Citroën-Modell, in Gang setzen. Filmszenen entstehen vor dem inneren Auge, die – nicht zuletzt aufgrund des mediterranen Flairs des Hauptinstruments – weniger jenen in französischen Klassikern ähneln als jenen in den Epen der italienischen Meisterregisseure Federico Fellini und Luchino Visconti.
Das leise Finale furioso "Les feux arrière de l'ambulance (Ambulance taillights)" berichtet über die – möglicherweise nur imaginierte – verhängnisvolle letzte Begegnung des Protagonisten mit seiner Jugendliebe. Daltin variiert am Akkordeon das im Opener etablierte Leitmotiv, das Orchester drosselt die Geschwindigkeit, die Tränen fließen, der Vorhang fällt. Fand das Zusammentreffen statt oder handelte es sich nur um eine dem Alkoholkonsum entsprungene Fantasie? Unabhängig davon, dass ein zugehöriger Film wohl niemals gedreht werden wird: großes Kino!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Moi, ma mandoline (Me, my mandolin)
- Il y avait des éléphants (There were elephants)
- La 2CV rouillée (The rusty 2CV)
- Les feux arrière de l'ambulance (Ambulance taillights)
Tracklist
- Moi, ma mandoline (Me, my mandolin)
- Comme les enfants savent aimer (How children know to love)
- La 2CV disparaît au coin de la rue (The 2CV disappears around the corner)
- Perdue dans la cité (Lost in the city)
- Il y avait des éléphants (There were elephants)
- À cause de mes problèmes (Because of my troubles)
- Une séance photo sous les arcades (A photoshoot under the arcades)
- Belle à pleurer (Beautiful enough to cry over)
- Danse des maillots de bain (Swimsuit dance)
- Nos regards se sont croisés (Our eyes crossed)
- La 2CV rouillée (The rusty 2CV)
- Un petit bout de verre cassé (A small piece of broken glass)
- Les feux arrière de l'ambulance (Ambulance taillights)
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Hierkannmanparken
2025-02-18 17:52:16
Haha sehr geil! Laufe beim Hören die ganze Zeit mit zusammengepressten Fingerspitzen durch die Stadt
Armin
2025-02-16 19:12:26- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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