
Optometry - Lemuria
PaletteVÖ: 21.02.2025
Die Angst knarzt mit
In zwei Jahren kann einiges passieren. Mitunter so viel Unliebsames, dass sich darüber ein surrealistisches Sci-Fi-Tagebuch schreiben lässt, sofern eine Band mit elektronischen Mitteln unterwegs ist. Fragt mal March Adstrum und John Tejada. Die Amerikanerin und der österreichische, in Kalifornien ansässige Produzent hatten seit ihrem Debüt "After-image" so manches zu verdauen: Die befreundete Artwork-Designerin Simone Ling etwa starb Anfang 2024 zusammen mit The Soft Moons Luis Vasquez und ihrem Lebensgefährten Silent Servant mutmaßlich an einer Überdosis Fentanyl, Adstrum trauerte außerdem um ihren Großvater – woraus immerhin das sanft melancholische Memento Mori "Another shield" entstand. Zwischen beiden Platten tat sich Tejada außerdem für den Track "How I'm wired" mit dem kanadischen Elektro-Pop-Duo Diamond Day zusammen, und da Adstrum währenddessen ihre Studio-Fertigkeiten vervollkommnete, gibt es auf dem zweiten Optometry-Longplayer viel zu erzählen. Inhaltlich wie musikalisch.
Grundsätzlich fiept, pocht und haucht "Lemuria" wie bereits das vorab ausgekoppelte "Comets" nicht grundsätzlich anders als der Vorgänger, wobei auch dieses diskrete Stück zischiger Synth-Pop von Beziehungen und Liebenden erzählt, die im einen Moment strahlend durchs Weltall schwirren und im nächsten schon wieder verlöschen. Deutlich präsenter als bisher ist hier jedoch eine mal tonlos klackernde, mal schaumgebremst röhrende Gitarre, die den eleganten Songs neben unterkühltem Minimal-Vibe eine angedeutete Räudigkeit einpflanzt, sodass "Inside a wire" ganz zu Anfang prächtig aus den Startlöchern kommt. Und auch darüber hinaus hat "Lemuria" überaus Charmantes zu bieten. Zum Beispiel den leicht androiden, dennoch zart gesponnenen Beinahe-Dream-Pop von "Star crossed" und mit "Fear (is the mind killer)" einen frechen, electroclashigen Rumpler, dessen analoge Störgeräusche genauso erratisch aus den Maschinen knatschen, wie das Leben regelmäßig Heimsuchungs-Paketchen bereithält. Die Angst knarzt mit.
Auch in der Folge sollte man auf dem Schirm behalten, dass Adstrum und Tejada jederzeit etwas Unvorhergesehenes im Schilde führen könnten: Nach dem grob geschnitzten Quasi-Rocker "99" macht es sich "Target practice" zunächst in einem trippigen Ambient-Ohrensessel bequem, fährt dann aber ein ungemütlich röhrendes Riff auf, das in der anfangs intendierten Kuschelwuschel-Umgebung ganz schön für Aufruhr sorgt. Ähnlich robust geht der angeranzte Bass des rhythmisch komplexen "Bon voyage" zur Sache, das sich ständig mit störrischen Vocal-Loops und Zerr-Sounds anlegt – gute Reise mit Turbulenzen. Es sind diese absichtlich gegen den Strich gebürsteten Cut-Up-Stücke, die "Lemuria" trotz klöppeligen Seufzern wie "Antidote" und dem flinken, zwischen elektrifiziertem Indie-Rock und Post-Punk oszillierenden Closer "Never coming back" eine delikate Unbeugsamkeit verleihen. Nach diesem Album ist man gerüstet für die Fährnisse des Daseins – und wenn es nur ein kleiner, adretter Stromschlag sein sollte.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Inside a wire
- Comets
- Fear (is the mind killer)
- Bon voyage
Tracklist
- Inside a wire
- Star crossed
- Comets
- Fear (is the mind killer)
- 99
- Target practice
- Antidote
- Bon voyage
- Another shield
- Unanswered
- Never coming back
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Armin
2025-02-16 19:11:56- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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