Squid - Cowards

Warp / Rough Trade
VÖ: 07.02.2025
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der Stachel sitzt tief

Am Anfang war – ja was eigentlich? Nichts? Chaos? Ein alter Mann mit Bart, der solange mit dem Finger geschnipst hat, bis ein hässlicher, nackter Zweibeiner vom Himmel fiel? Am Anfang von Squid war jedenfalls etwas, das man nicht als erstes mit den Briten assoziieren würde: Routine. Die fünf Jungs begannen einst als instrumentale Jazz-Band, die monatliche Shows in Brighton spielte, bevor diese immer wilder wurden und einen Hype entfachten. Der Rest ist jüngere Musikgeschichte: Squid wurden in London von Dan Carey entdeckt und entwickelten sich mit zwei Alben voll wundersame Haken schlagendem Art-Post-Punk zu einer der Gallionsfiguren des Windmill-Sounds. "Cowards", das auf mehr akustische Instrumente und in nahezu allen Songs präsente Streicher setzt, schafft es zum dritten Mal in Folge, Krach und Wohlklang auf eigenständige und unvorhersehbare Weise zu verbinden.

Der Opener "Crispy skin" beginnt mit bunten Synth-Schauern, die nach dem Auswringen von Animal Collectives "Merriweather Post Pavilion" übrig geblieben sein könnten, ehe diese mit Bass und Drums zu einem kunstvollen Groove zusammenfinden. Der schlagzeugende Anti-Sänger Ollie Judge raunt seine Strophen, ein Piano klimpert und man ahnt schon, dass das so nicht gutgehen wird. Wenn der unausweichliche Zusammenbruch kommt, ist es ein leiser, die Gitarren schälen sich im inspirierten Zusammenspiel aus der Stille und erst in den letzten 30 Sekunden dürfen die Bläser das Trommelfell martialischer bearbeiten. Dass dieser Track einer der zugänglichsten auf "Cowards" ist, dient als Beweis, dass Squid wieder keine Pop-Platte aufgenommen haben. Doch genau aus dieser Sperrigkeit, aus der Unkonventionalität der Songstrukturen und der Dichte der Arrangements bezieht der Fünfer eine Faszination, die über die gesamte Spielzeit standhält.

Das gilt auch für die zweite Single "Building 650", die sich mit psychedelischen Saitenverrenkungen und aufmüpfigen Streichern dagegen stemmt, dass sie irgendjemand als "kompakter Indie-Rocker" bezeichnet. Zum ersten Mal völlig wahnsinnig wird "Blood on the boulders". Mit subtil bedrohlicher Begleitung und stimmlicher Unterstützung von Rosa Brook und Clarissa Connelly singt Judge eine murder ballad über den Charles-Manson-Kult: "That Californian sun on my face / All those drugs they / They fogged her brain." Plötzlich fangen die Instrumente an, sich gegenseitig zu verstimmen, prügeln manisch auf die Hörnerven ein und landen schließlich wieder bei mörderischer Seelenruhe. Wie Squid Intensität und Reduktion balancieren, ist durchweg beeindruckend. Die mehrstimmigen Vocals von "Cro-Magnon man" gehen deshalb unter die Haut, weil sie bis zum Ende durchhalten, wenn das Höllenfeuer speiende Funk-Ungetüm längst verglüht ist. "Showtime!" präsentiert seinen umwerfenden, Streicher-gestützten Refrain genau einmal, entscheidet sich dann für eine auf glitchenden Samples gebaute Klangcollage, die sich auf nicht nachvollziehbare Weise in eine von den Füßen reißende Rock-Klimax verwandelt. Niemand anders klingt so, man muss es nochmal betonen.

Am bemerkenswertesten gerät dabei das Titelstück, das erst wie die gitarrenorientierten Radiohead in Zeitlupe klingt und sich nach zwei Minuten der bruchlosen Schönheit mit Kornett und wundervoll perlenden Saiten öffnet. Das zweigeteilte "Fieldworks" gibt sich ebenso vergleichsweise handzahm, auch wenn sich der monotone Rhythmus des zweiten Teils kaum merklich immer tiefer ins Fleisch bohrt. Wer aus irgendwelchen Gründen einen versöhnlichen Abschluss erwartet hat, wird bitter enttäuscht: "Well met (Fingers through the fence)" nutzt mehr als die Hälfte seiner acht Minuten, um mit Cembalo-ähnlichen Tasten, Bläser-Seufzern und zunehmender Verzerrung die letzten Atemzüge einer untergehenden Welt zu vertonen. Was am Anfang war, ist spätestens jetzt völlig irrelevant. Es zählt das Hier und Jetzt genauso wie die nächsten Augenblicke. Schließlich dauert es eine Weile, bis der Stachel wieder draußen ist, den uns "Cowards" anders als auf dem Cover ohne zu zögern in den Finger gerammt hat.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Crispy skin
  • Blood on the boulders
  • Cowards
  • Showtime!

Tracklist

  1. Crispy skin
  2. Building 650
  3. Blood on the boulders
  4. Fieldworks I
  5. Fieldworks II
  6. Cro-Magnon man
  7. Cowards
  8. Showtime!
  9. Well met (Fingers through the fence)
Gesamtspielzeit: 45:09 min

Im Forum kommentieren

myx

2025-02-16 18:11:59

Gerade Tickets für Schorndorf bestellt. Das Album ist überragend, und ich zweifle nicht daran, dass das auch live grossartig wird. :-)

Jochen Reinecke

2025-02-09 19:55:50

Danke, Herr Kollege, für diesen fantastischen Musiktipp, den ich im allgemeinen Getöse sonst sicher übersehen bzw. überhört hätte. Gyle.

myx

2025-02-09 15:37:34

Ein, ähm, bestechendes Album. Zweitbestes des jungen Jahres nach "Eusexua" und eine 8/10 mit Ausrufezeichen.

Hubble

2025-02-08 22:24:52

Lowlights kann ich bisher nicht ausmachen. Blood on the boulders finde ich stark.

Armin

2025-02-08 20:18:04- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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