Andreas Dorau - Wien

Tapete / Indigo
VÖ: 14.02.2025

Tourist am Telefon

"Auf der Weidenallee bei einem Becher Kaffee / Die Sorgen verschwinden im Nu, gibt es Kuchen noch dazu." Und im Gebüsch raschelt's konspirativ: Wozu in die Ferne schweifen, wenn man Eimsbüttel hat? Zu Hause ist es immer noch am schönsten. Dennoch packt auch den altgedienten Hanseaten Andreas Dorau zuweilen das Fernweh. Und nicht nur das nach "Rainy days in Moscow" oder einem englischen Winter. Manchmal darf es auch die am weitesten von Hamburg weg liegende deutschsprachige Großstadt sein. "Der Regen in Wien" ist schließlich genauso angenehm, und vielleicht läuft einem sogar ein "Mädchen mit Herz" über den Weg. Also nichts wie den Schalenkoffer geschnappt und ab in die österreichische Metropole. Zahlreiche berufene Kolleg*innen von Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen, Unhappybirthday oder Locas In Love swingen tatkräftig mit – sowie der gute alte Produzenten-Haberer Zwanie Jonson. Und der frühere Weggefährte Tommi Eckart ist zumindest im Geiste irgendwie auch anwesend.

Zumindest zu Anfang, wenn sich das kühl-elektronische "45 Lux" einen kleinen Rückgriff auf das unlängst 30 Jahre alt gewordene Album "Neu!" erlaubt – seinerzeit als erste House-Platte auf Deutsch gefeiert und außerdem Doraus Freischwimmer-Zeugnis von der ollen NDW. Zum Auftakt seines 13. Longplayers bitzeln erneut die Sequenzen und rumoren die Synth-Bässe, während der 61-Jährige auf gewohnt naiv-entgeisterte Weise von computergesteuerten Straßenlaternen erzählt. Hinreißend und mit dem gleichen diskreten Punch versehen, der auch die Grundlage für das locker mit den Hüften kreisende "431 42" bildet. Kein Skandal im soundsovielten Bezirk jedoch: Über die Nummer im Titel erreicht der latent verzweifelte Protagonist vielmehr die Telefonseelsorge der Alpenrepublik, deren Ratschläge hoffentlich über ein bloßes "Das Telefon sagt Du" hinausgehen. Sicher nicht die landestypischsten Gegebenheiten – doch zauberhaft, dass "Wien" ihnen in diesen zwei aufgeräumten Elektro-Popsongs ein Plätzchen freiräumt.

Natürlich klappert Dorau pflichtschuldigst auch ein paar, na ja, Hotspots ab, interessiert sich aber mehr für die abseitigen Details der Metropole. Das Riesenrad im Prater jedenfalls erhält neben einer niedlichen Zirp-Beat-Miniatur lediglich ein pikiertes "Es war nicht meine Idee / Dass ich die Stadt auch mal von oben seh", und auch "Vienna Sur Mer" entspricht trotz sonnigstem Arrangement nicht der Realität – weiß man schon seit Jeans Teams "Berlin am Meer". Schöner ist da schon die nächtliche Hotel-Klage "Ich kann nicht schlafen", die nicht etwa Schafe, sondern fein drapierte Licks hüpfen lässt, oder die flockige Indie-Gitarren-Ode an die eingangs erwähnte herzliche Dame. Aber Vorsicht: Aus einem unbedarften "Lass uns spazieren gehen" wird die Geschichte von der Frau, die ihren Mann an der Leine führt – ein gedämpftes Sado-Maso-Hörbild, das "Nur im Spiel" von Sorry3000 womöglich aus dem Darkroom kennt. Die Welt ist nun mal ein seltsamer Planet. Und Dorau auf "Wien" ein Tourist, der gar nichts anderes sein will.

(Thomas Pilgrim)

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