The Vines - Winning days

Capitol / EMI
VÖ: 22.03.2004
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Gegen die Wand

Ob eine Band den ersten Hype tatsächlich wert ist, kann in der Regel nur die Zeit zeigen. Spreu und Weizen trennen sich meist mit dem zweiten Album, und wer danach noch immer an vorderster Front mitmischt, darf sich guten Gewissens für etabliert halten. Bei den Vines ist es allerdings anders. Der dickste Rummel ist längst abgekühlt, die Jungs sind aus dem Gröbsten raus und ihre zweite Platte ist auch fertig. Ein einziges Rätsel bleiben diese vier Australier aber trotzdem.

Ist Craig Nicholls nun tatsächlich ein schräger Psycho? Gehört dieser Typ nicht hinter eine Gitarre, sondern zwischen vier kuschelige Gummiwände? Oder ist er doch eher ein Schausteller von oscarwürdigem Format? Und hat er, was ja nun wirklich des Geilen zu viel wäre, seinen Bassisten nach verpatztem Einsatz tatsächlich auf offener Bühne verprügelt? Ein Haufen Fragen. Aber weit und breit keine Antworten. Auch auf der neuen Platte "Winning days" nicht. Sondern im Gegenteil. Noch mehr Rätsel. Noch mehr Fragen. Mußte das denn jetzt? Und hätte nicht? Oder wenigstens? Ach Mann.

"Winning days" ist nicht einfach. Sondern zunächst einmal wie sein Vorgänger "Highly evolved" minus Gift und Galle. Das erste Album war ja so eins, das Köpfe von Rümpfen abtrennte, bevor die auch nur das Wörtchen "Gnade" in den Mund nehmen konnten. Ein halbwegs wilder bis ausgewachsen exzessiver Brocken Abstellkammer-Rock, serienmäßig ausgestattet mit Eiertritt-Maschine und kalter Balladen-Dusche. Anderthalb Millionen Mal hat sich so was vor zwei Jahren verkauft. Es war eben eine gute Zeit. Für die Vines und für den Rock. 2004 aber hat mal wieder eine Band ihre Unschuld verloren. Und sucht händeringend nach dem rechten Weg. Um interessant zu bleiben. Und neu. Und gut.

Eine Aufgabe, mit der sich Craig Nicholls nicht wohl fühlt. Der unbekümmert in jede Himmelsrichtung austeilende Rotzlöffel von "Highly evolved"; ist einem Mann gewichen, der sich bemühen muß, um den (eigenen) Ansprüchen zu genügen. Die Vorabsingles "Ride" und "Fuck the world" krachen, rumpeln und ätzen. Aber anders als "Get free" oder "Outtathaway!" ziehen sie keine Spur der Verwüstung durch verbrannte Erde hinter sich her. Man kennt das jetzt eben. Man weiß, was wird, stellt sich drauf ein und kommt folglich nicht drum herum, das alles diesmal ein bißchen einfallslos zu finden. Das entnervte Jaulen der Gitarre. Nicholls' typische Stimmen-Spielchen. Die diktatorisch anpeitschenden Drums. Eben die Vines.

Auch die Löcher zum Luftholen, die verschleppten Balladen und heiteren Momente glücklicher Folkseligkeit reißen hier nichts mehr raus. Sie sind mehr geworden, ohne mehr zu bringen. "Autumn shade 2" heißt da sogar ein Song. Er taumelt im Halbschlaf. Immerhin folgt wenig später das Titelstück. Der einzige Song, der nicht in den ersten fünf Sekunden verrät, wie er enden wird. Vielleicht waren die letzten zwei Jahre wirklich ein bißchen zu viel für Craig Nicholls. Vielleicht mußte das passieren. "Winning days" ist nicht einfach. Und je länger es läuft, desto deutlicher wird: Es ist auch nicht gut.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Winning days
  • Rainfall

Tracklist

  1. Ride
  2. Animal machine
  3. TV pro
  4. Autumn shade 2
  5. Evil town
  6. Winning days
  7. She's got something to say to me
  8. Rainfall
  9. Amnesia
  10. Sunchild
  11. Fuck the world
Gesamtspielzeit: 38:39 min

Im Forum kommentieren

XTRMNTR

2018-03-30 21:29:57

Autumn Shade II ist sogar besser als I. Sowas wie 1969 oder Mary Jane haben sie trotzdem nie wieder hinbekommen.

boneless

2018-03-30 21:18:04

Für mich ebenbürtig mit dem Debut. Der tolle Titeltrack, Ride, She's got something to say to me, Animal Machine, Autumn Shade II... weiß gar nicht, was du hast. ;P

The MACHINA of God

2018-03-30 19:49:08

Das Debut hatte "1969", diese hier leider nciht sowas.

Banana Co.

2016-07-12 00:52:40

Es ist in vielen Fällen komisch und zuweilen erschreckend seine eigenen Kommentare retrospektiv zu lesen. "Winning Days" hält sich aber immer noch überraschend positiv. Eigentlich das einzige Album meiner frühen Jugendzeit, das die Jahre überlebt hat.

Gordon Fraser

2015-01-04 09:43:29

Sehe ich immer noch so. Gerade mal wieder rausgekramt, ein sehr entspanntes, weltverlorenes Album. Jetzt wo Band und damaliger Hype längst vergessen sind kann man das ganze auch viel objektiver betrachten: ein sehr souveränes Retropop-Album.

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