
EA80 - Stecker
Major / Broken SilenceVÖ: 24.01.2025
Früchte des Zorns
EA80 wurden vor sage und schreibe 46 Jahren gegründet – und doch wissen wir über die Band bis heute erstaunlich wenig, zumindest bei Zuhilfenahme allgemein zugänglicher Quellen: Die Homepage zeigt seit Ewigkeiten genau vier Zeichen (den Bandnamen) an, die vier Musiker verweigern sich konsequent der Nennung ihrer Realnamen und firmieren durchgehend unter "Junge", "Philipp", "Hals Maul" und "Nico". Instagram? Facebook? Fehlanzeige. Man muss sich schon zu Livekonzerten aufmachen oder Inhaber des großen Stalker-Diploms summa cum laude sein, um hinter die Fassade dieser zugeknöpften Band zu blicken. Den Stiefel zieht das Quartett aus Mönchengladbach konsequent durch – und verweigert sich ebenso konsequent musikalisch wie textlich einer ganz klaren Einordnung. Für eine reine Punkband spielen EA80 erstaunlich viele langsame Lieder, die Lyrics gehen über genretypische Themen (Nazis raus, das Establishment ist doof, Bier schmeckt gut etc.) hinaus und wagen sich immer wieder auch an Kryptisches heran.
Dass sich EA80 auch im reifen Alter nicht den Strom abdrehen lassen, zeigt ihr gleichnamiges Album. Seit "Definitiv: Ja!" von 2017 hat sich offenbar eine Menge Wut angestaut, denn "Stecker" ist ein angenehm zorniges Werk, das die aktuellen Zeitläufe mit ungefiltertem Frust, gehörigem Sarkasmus und authentischer Melancholie vertont. Dreh- und Angelpunkt ist das abgrundtief verzweifelte Stück "Scherbe", ein sechseinhalb Minuten langer, stolpernder Abgesang auf alles, was uns schmerzt. "Junge" knödelt wie in alten Zeiten, die Drums schieben sich gefährlich langsam und majestätisch voran wie bei den Melvins. Wenn es in den Refrain geht, sägen die Gitarren aufs Herrlichste – und die Magie des Songs entsteht vor allem dadurch, dass recht einfache Riffs bis zum Gehtnichtmehr ausgewalzt werden, was einen spontan an eine sinistre Starkstromversion von Televisions "Marquee moon" denken lässt.
Ansonsten gibt es eine Reihe sehr starker Uptempo-Nummern: "Vergoldet" erinnert mit seiner rotzfrechen Mischung aus Stomp und Shanty fast an das Frühwerk von Bad Religion, "Ode an das Unentspannte" ist schlicht und einfach böse, schnell, garstig, düster und kurz - und mehr als einmal hat man Angst, dass der die Gitarre bedienende Mensch sich die Fingerkuppen blutig schrammelt. Hidden Champion ist "Die goldene Stadt", wo Sprechgesang auf treibende Gitarren- und Schlagzeugarbeit trifft. Während in den Strophen schrille Riffs à la Turbostaat ins Ohr schneiden, wagt die Band im Refrain – was man bei EA80 selten hat – Ausflüge in strahlendes Dur. Wer hingegen lieber in alten Zeiten schwelgen will, der findet mit dem Titelstück genau das, was er sucht: Alles hängt aschedüster in verzweifeltem Moll, es gibt spannende Wechsel zwischen Ruhephasen mit Solo-Schrammelgitarre und krachledernem Vollgas aller Beteiligten.
Punkmusik ist nämlich weitaus mehr als drei Akkorde und auf die Zwölf. Punk ist Aufbegehren, "nein" sagen, erzeugt Energie und Aktivität, kann ebenso zornig wie glücklich machen. Wenn man bedenkt, wie lange die vier Jungs von EA80 das inzwischen konsequent abliefern, könnte man fast schon meinen, sie hätten irgendwo ein Perpetuum Mobile herumstehen. Vielleicht verstecken sie sich ja deshalb so geschickt hinter der Fassade der Beethovenstraße 6 in Mönchengladbach. Google Maps zeigt jedenfalls: Die Rolläden sind geschlossen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Vergoldet
- Scherbe
- Die goldene Stadt
Tracklist
- Vergoldet
- Stecker
- Elektrizität
- Kaum Widerstand
- Abgrund
- Scherbe
- Ode an das Unentspannte
- Philharmonie
- Radar
- Die goldene Stadt
- Philosophie
- Jahrzehnte
- Kapitulation
Im Forum kommentieren
fakeboy
2025-01-27 08:18:56
Danke! Wurde mir noch nie angezeigt, scheint tief vergraben zu sein in der YouTube-Schatzkiste.
DerMeister
2025-01-27 01:32:56
Hier ist einer ihrer Klassiker:
https://www.youtube.com/watch?v=OO3mGg-CkTM
fakeboy
2025-01-26 23:45:14
Eine Band die mir gefallen müsste, von der ich aber kaum was gehört habe, weil man nicht mal auf YouTube wirklich was findet…
DerMeister
2025-01-26 23:35:26
Zum Glück gibt es Soulseek ;)
Euroboy
2025-01-26 23:08:16
Kein Spotify, kein Bandcamp, finde ich gut, jetzt muss ich tatsächlich wieder mal eine Platte kaufen.
Es gab vor Jahren mal eine Jahresbestenliste (wahrscheinlich von 2007) auf der J. Mascis die "Reise" von EA80 in seiner Jahres Top5 hatte.
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Referenzen
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