The Weather Station - Humanhood

Fat Possum / Membran
VÖ: 17.01.2025
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Von allem mehr

Es hätte alles prima sein können für Tamara Lindeman. Das herausragende Album "Ignorance" mit ihrer Band The Weather Station avancierte 2021 zu einem Liebling der Kritik, und auch das Publikum wurde nicht kleiner, ganz im Gegenteil. Ein Jahr später folgte noch "How is it that I look at the stars", ein intimes, musikalisch im Kern auf ein Minimum reduziertes Werk, das im selben kreativen Schaffensprozess wie "Ignorance" entstanden war. Ein grandioses Album und tatsächlich alles, aber kein bloßes Anhängsel des Vorgängers. Es war allerdings dann doch nicht alles prima für die Sängerin, die sich nach eigener Aussage mit einer tiefen persönlichen Krise konfrontiert sah und zunächst einmal einen Weg aus dieser herausfinden musste. Eine Hilfe war schließlich die Musik, und so begab sie sich an der Seite von Produzent Marcus Paquin zurück ins Studio. "Humanhood" ist dabei entstanden, das inzwischen siebte Studioalbum von The Weather Station.

Die Kanadierin steht auch hier im Fokus, allerdings ist ihre musikalische Begleitung im Vergleich zum vorangegangenen Werk nicht zur zahlenmäßig wieder mehr geworden, sondern in der Wahrnehmung mindestens einen Schritt weiter vorgetreten. Erleben lässt sich das beispielsweise nach der atmosphärischen Ouvertüre "Descent", wenn das famose Songtrio aus "Neon signs", "Mirror" und "Window" gleich mal für die ersten Höhepunkte sorgt und vor allem nachhallenden Eindruck hinterlässt. Was direkt auffällt: Das Tempo zieht im Vergleich zu "How is it that I look at the stars" wieder ein gutes Stück an. Das führt nicht auf die Tanzfläche, aber die starke Mischung aus Pop, Folk, Jazz und Alternative Rock überzeugt schon nach dem ersten Hören – gerade auch wegen der energischeren Herangehensweise. In "Neon signs" bringt dabei unmittelbar die erste Zeile ein Gefühl der Erschöpfung zum Ausdruck: "I've gotten used to feeling like I'm crazy – or just lazy / Why can't I get off this floor? / Think straight anymore?"

Schlagzeuger Kieran Adams, Perkussionist Philippe Melanson, Bassist Ben Whiteley sowie Karen Ng und Ben Boye als Duo aus den Welten der Neuen Musik bereiten musikalisch den Boden für die glänzende Sängerin. Mit ihrer Klasse tragen sie entscheidend dazu bei, dass "Humanhood" einen besonderen Spagat mühelos schafft: Einerseits bietet es erfreulich großen Abwechslungsreichtum, andererseits ist es ein in sich überaus stimmiges Werk, das als Ganzes genossen werden möchte. Beispiele für die Variabilität sind das packende "Windows", das jazzige und wunderbar lebendige "Irreversible damage" oder das wiederum feinfühlig vorgetragene und dezidiert reduzierte "Sewing", das einen gekonnten Schlusspunkt setzt.

Während auf manchen anderen Alben eingestreute Zwischenstücke wirken, als seien sie nur zur künstlichen Verlängerung eingeschoben, halten die vier kurzen Passagen auf "Humanhood" das Gesamtwerk klug zusammen. Das gilt für das stimmige "Descent" ganz zu Beginn gleichermaßen wie für "Passage", "Fleuve" und "Aurora", die jeweils eine Art Übergang bilden. Einen Übergang von einem Bewusstseinszustand zum nächsten, von einer kompositorischen Herangehensweise zur anderen. Dazu passt auch das Artwork, das Lindeman inmitten schon charakteristischer Dunkelheit zeigt, diesmal bei der Betrachtung einer fluiden Version ihrer selbst. Wir erleben eine Künstlerin, die sich immer wieder hinterfragt, dabei wie eingangs erwähnt auch an Grenzen stößt und spürbar in der Musik einen Weg findet, immer wieder zu ihrer Mitte zurückzukehren. Bemerkenswert ist die anhaltend hohe Qualität, die sie inzwischen seit Jahren abliefert. Und die trotz aller Rückschläge, Zweifel und Anstrengungen betont mühelos daherkommt.

(Torben Rosenbohm)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Neon signs
  • Window
  • Body moves
  • Sewing

Tracklist

  1. Descent
  2. Neon signs
  3. Mirror
  4. Window
  5. Passage
  6. Body moves
  7. Ribbon
  8. Fleuve
  9. Humanhood
  10. Irreversible damage
  11. Lonely
  12. Aurora
  13. Sewing
Gesamtspielzeit: 44:31 min

Im Forum kommentieren

MickHead

2025-10-30 18:04:26

2 neue Songs, die während der Sessions zum Album entstanden sind.

"Airport"

https://youtu.be/tDexkRhzjTc?si=eW3QmDwE1aVwW-ro

"Only The Truth"

https://youtu.be/w7GbXcKCTZ4?si=KbDesJrZef78tH7X

ijb

2025-06-17 17:47:26

@ Unangemeldeter

Ich fand auch das Album wie gesagt erstmal nicht so packend (bzw. abholend), aber das Konzert hat den Blick darauf komplett neu geöffnet ... die Songs erst so richtig verstehen lassen.

Gordon Fraser

2025-06-17 13:38:50

Also die Kombi Destroyer-TWS ist ja wirklich traumhaft. Da beneide ich alle, die das mitnehmen können. Und ijbs Einschätzung kann ich nach dem Berlin-Konzert absolut unterstreichen.

Unangemeldeter

2025-06-17 11:15:15

Anders als die zwei Vorgänger holt mich das aktuelle Album leider überhaupt nicht ab. Aber live und dann noch als Co-Headliner mit Destroyer kann man da sicher absolut nichts falsch machen. Hab das Konzert zur letzten Tour noch in sehr schöner Erinnerung, das war richtig toll.

ijb

2025-06-17 09:58:33

Kann ich sehr empfehlen, die Tour zum aktuellen Album. Man entdeckt das Album noch mal ganz neu!

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