Kratzen - III

Kratzen
VÖ: 17.01.2025
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Alleine zu dritt

"Wir haben bisher keine andere Krautwave-Band kennengelernt", so Kratzen-Gitarrist Thomas Mersch 2022 zum zweiten Longplayer des Trios. Na, das wollen wir doch hoffen. So einen komfortablen Platz an der Spitze der musikalischen Nahrungskette dank stilistischem Alleinstellungsmerkmal gibt man schließlich ungern auf. Doch was heißt hier eigentlich Gitarrist? Auf dem erneut bewusst schlicht betitelten dritten Album zeichnen sich Kratzen nämlich oft dadurch aus, dass hier im Grunde jede*r alles macht – nur Stefanie Staub hat ihre mal motorisch zischenden, mal akkurat polternden Drums sozusagen exklusiv. Melanie Graf und Mersch tauschen die Saiteninstrumente in quasi fliegendem Wechsel, und alle drei changieren je nach Geschlecht zwischen eindringlichem Deadpan-Sprechgesang, Nico-Jenseitigkeit und Riot-Grrrl-Phrasierung. Ohne Riot, versteht sich.

Oder doch nicht? Zumindest der Opener "Reichtum" lässt ein vorlautes Riff für Kratzen-Verhältnisse so lärmig schmoren, dass sich die ansonsten bei den Rheinländern vorherrschende, streng rhythmische Schlagseite erst einmal hinten anstellen muss. Dazu mimt Mersch den Raubtierkapitalisten, der scheinbar kein Wässerchen zu trüben vermag und doch nur verbrannte Erde hinterlässt: "Jedes Ding und jedes Tier / Gefressen wird allein von mir / Auch der kleinste Tropfen Regen / Fällt bestimmt in mein Revier." Noch zorniger donnert auf "III" nur noch der quietschende und knatschende Eineinhalbminüter "Hitze", der die Vereinzelung einem feindlichen Draußen vorzieht. Die benachbarte Kollegin Stefanie Schrank würde "Unter der Haut eine überhitzte Fabrik" dazu sagen, Kratzen hingegen warnen: "Sieh Dich vor / Lass nichts rein / Niemand kann sicher sein."

Teile von "III" könnten die Bevölkerung also verunsichern. Doch das muss so, zumal auch der Besuch von innen häufig nicht besser ist – aber dafür voll zwingendem Post-Punk-Minimalkompakt, der von kosmischen Melodien und krautigen Schlaufen durchbrochen wird. "Immer" ist so ein von harmonischen Licks flankierter kleiner Bass-Schlagzeug-Moloch, der sich unter Zweisamkeit etwas entschieden anderes vorstellt als die von Mersch matt besungene Nicht-Beziehung: "Ich kann mit Dir reden / Doch trau zu sprechen mich nicht." Graf antwortet im blendenden "Nichts und alles" mit einem mauligen "Ich mag Dich im Prinzip / Wo es Dich schon gibt", während sich kreiselnde Leads kurz einem prächtigen Shoegaze-Refrain öffnen. Da klingt selbst das Ungefähre von "Vielleicht" zu Saitenklackern als tonlosem Metronom beinahe wie eine Verheißung.

Es sind solche emotional wie musikalisch präzisen, (alb-)traumhaften Momente, in denen "III" besonders funkelt und am liebsten ganz bei sich bleibt. Dennoch leisten sich Kratzen auch lichte Augenblicke und leicht vom strikten Kurs abweichende Songs, die ins Gedächtnis rufen, dass die Dinge doch nicht ganz so hoffnungslos liegen. "Nur so" bietet mit dickem Punch und selbstvergessen mäandernden Gitarren leichtherzig Auswege aus den zwischenmenschlichen Mausefallen an, "Echo" schwingt sich zu schnittigem Indie-Rock auf, und Staubs Vocals sind für beide Stücke eine Zierde. "Gedanken" bestreitet sie zusammen mit Mersch gar im entrückten Duett, ehe "Du" kurz vor Schluss einen steifen Hypno-Kracher dalässt. Krautwave verpflichtet. Und bitte nicht wundern, wenn der Nachfolger dieses fantastischen Albums nicht "Vier", sondern "Viel" heißen sollte.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Immer
  • Nur so
  • Nichts und alles
  • Du

Tracklist

  1. Reichtum
  2. Immer
  3. Vielleicht
  4. Nur so
  5. Nichts und alles
  6. Zu spät
  7. Echo
  8. Hitze
  9. Gedanken
  10. Zeichen
  11. Du
  12. Flimmern
Gesamtspielzeit: 39:31 min

Im Forum kommentieren

Stulle

2025-01-17 21:02:38

Der erste zufällig ausgewählte Track (glaube es war "Zu spät") bei Bandcamp hat bei mir sofort NEU!-Assoziationen ausgelöst. Auf jeden Fall tolle Musik! Doch der "Gesang"! Warum? Das zieht für mich die Qualität extrem wieder runter. Schade! Die können einfach nicht gut singen.

Armin

2025-01-16 20:47:06- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?


Vivat Virtute

2025-01-16 08:39:32

Ich hör gerade interessehalber in rein. "Nur so" bekommt mich schon mal. Könnte irgendwie auch von Locas In Love sein.

Immermusik

2025-01-15 18:10:59

Neues Album am 17.01.25

„Repetitiv – motorisch – stoisch - reduziert – das 2017 in Köln gegründete Trio verbindet Krautrock und New Wave.
Sie nennen es Krautwave.“

https://kratzen.bandcamp.com/album/iii

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