Jasmine.4.t - You are the morning

Saddest Factory / Interscope / Cargo
VÖ: 17.01.2025

Wenn's so einfach wäre

Die Geschichte geht so: Sitzen Lucy Dacus und Phoebe Bridgers zusammen im Auto. Dacus will Bridgers ein paar Songs von Jasmine.4.t vorspielen. Die ist unter anderem nach Gigs als Vorband über die letzten Jahre eine gute Freundin geworden und hat darum gebeten, die Demos mal weiterzugeben. Kurze Zeit später ist Bridgers am Telefon und versucht herauszufinden, wie sie die Britin Jasmine Cruickshank auf ihrem Label Saddest Factory unter Vertrag nehmen kann. Und noch ein paar Wochen und Monate später produzieren Dacus, Bridgers und Julien Baker, also die volle Boygenius-Kapelle, das Debütalbum "You are the morning" von Jasmine.4.t. Klingt erst mal überraschend einfach. Spart aber vollkommen aus, dass Cruickshank mit Anfang 30 endlich die Person sein kann, die sie immer sein wollte.

Zwei Anläufe hat es für sie gebraucht, um ihr Coming-out als trans zu schaffen. Beim ersten Versuch während eines Studiums in Oxford war das Umfeld und die Reaktion so negativ, dass es wieder zurück "into the closet" ging und es ihr beschissen ging – nachvollziehbarerweise. Der zweite Versuch folgte 2020, mit den Nachwirkungen von COVID ans Bett gefesselt und mit neuem Mut – für die Transition und um die Ehe zu beenden, die sie zwischenzeitlich eingegangen war. In Manchester fand sie endlich eine Heimat in der queeren Community. In der spielte sie auch ihre erste Show als Jasmine.4.t bei einem Fundraiser für eine Mastektomie. Und dieser Szene ist "You are the morning" auch gewidmet.

Was eine vom Frust der vielen Jahre im mentalen Versteck geprägte Angelegenheit sein könnte, ist das absolute Gegenteil: Ein Album voller Wärme zwischen sensiblem Folk und leicht schrammeligem Indie und mit einer Band an Piano, Strings, Drums und Bass, die ebenfalls vollständig aus trans Personen zusammengesetzt ist. In der ersten Single "Skin on skin" fühlt sich Cruickshank glücklicherweise auch endlich wohl genug und sexy: "Between the heat of your sweat and the cold wall you press me to." An anderer Stelle brechen Herzen umgedreht, werden also wieder gefixt. Und Boygenius lassen sich natürlich auch nicht lumpen und steuern mehr als die Produktion bei. "My best friend's house" will nicht mehr aus Not bei den Eltern unterkommen, sondern macht es sich für nicht mal anderthalb Minuten bei der Wahlfamilie bequem und bekommt gleich von beiden Bands Unterstützung in Form von Backing Vocals. Nicht das einzige Mal, dass ihr jemand den Rücken stärkt. Das Duett "Guy Fawkes Tesco dissociation" mit Phoebe Bridgers evoziert 90er-Rock à la Weezer. Und im Titelsong, der abgesehen vom Falsett-lastigen Gesang als einfacher Liebes-Folk sogar an Laura Marling erinnert, kommen elegante und unaufdringliche Streicher hinzu.

Auch wenn "You are the morning" thematisch nicht per se ein trans Album ist, ist das Motiv sehr präsent. Durch die drei Songs am Ende des Albums zieht sich chorale Unterstützung des Trans Chorus of LA, dem ersten Chor seiner Art in den USA. Das fängt an im dringlichen "Elephant", das mit schnellem Indie-Rock den berühmten Elefanten im Raum ausspricht und sich mit seinem Liebesgeständnis immer mehr traut. Ein großartiges Beispiel für dynamisches Songwriting und interessante Percussion. Danach im bedeutungsschwanger betitelten Interlude "Transition", das das letzte große Statement in Form von "Woman" ankündigt. Ein großes Statement allerdings nicht im musikalischen Sinne, da zeigt sich der Song ganz zurückgenommen. Aber mit der absoluten Gewissheit, wer sie selbst ist: "Cause I know who I am / And I understand / That I am in my soul a woman." Und das klingt dann wieder ganz einfach.

(Arne Lehrke)