Ethel Cain - Perverts

Daughters Of Cain / AWAL
VÖ: 08.01.2025
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Die endliche Geschichte

Kann Musik wehtun? Jeder, der schon einmal zu fortgeschrittener Stunde einer minderbegabten Hochzeitsband lauschen musste, darf nun wissend nicken. Muss Musik wehtun? Natürlich nicht, es gibt schließlich auch Momente im Leben, in denen man gute Laune haben möchte. Manchmal, aber nur manchmal haben Menschen ein kleines bisschen Haue gern – und dann begeben sie sich auf die Suche. Nach Erfahrungen, die sie an ihre Grenzen bringen. Nach dem schmalen Grat zwischen Lust und Leid. Für solche Menschen hat Ethel Cain "Perverts" geschrieben, eine EP mit knapp 90 Minuten Spielzeit. "Perverts" zu hören, macht keinen Spaß. Es ist fordernd, bisweilen physisch anstrengend, und doch ungemein faszinierend. Dass die Künstlerin zuletzt mit gelinde gesagt fragwürdigen Aussagen aufgefallen ist, sei hier angemerkt. Ihre Musik vermag noch für sich zu stehen. Denn Cain gelingt es, fernab aller Konventionen Soundscapes zu erschaffen, die gleichzeitig wunderschön und absolut grauenerregend sind.

Dabei beginnt alles noch ganz harmlos. Der Titeltrack, der die EP eröffnet, besteht größtenteils aus Brummen, das gelegentlich die Klangfarbe wechselt. Wer seine Aufmerksamkeitsspanne auf Minirock-Länge reduziert hat, dürfte bereits hier aussteigen. Doch Cain hat einen Plan: Sie möchte die Hörer behutsam in den Abgrund geleiten, weshalb sie sich sehr viel Zeit lässt, bis sie zum ersten Mal die Stimme erhebt. Erst im zweiten Song "Punish" haucht sie einige Verse zu sachter Klavierbegleitung, ehe gegen Ende mächtige Gitarrenakkorde für Ganzkörpergänsehaut sorgen. "I love you", murmelt plötzlich jemand. Immer und immer wieder. Dreizehn Minuten lang. Die Musik ringsum schlingert und schliert, Delayschleifen legen sich um den Hals, die Luft wird knapp. Nein, das hier ist wirklich nicht lustig. Das hier ist, mit Verlaub, Kunstkacke. Großartige, wundersame Kunstkacke.

Woher diese Musik kommt, bleibt unbeantwortet. Was das alles soll, warum "Vacillator" eigentlich ganz hübsch ist, ebenso. Fast möchte man sich von den lang gehaltenen Synthesizerflächen und behutsam gesetzten Gitarrentupfern einlullen lassen. Aber nur fast. Denn Ethel Cain kennt kein Erbarmen. Nun, da man ihr nicht mehr entkommen kann, zieht sie alle Register. "Pulldrone" beginnt und endet – und dazwischen stülpen sich sämtliche Organe von innen nach außen. Just als man glaubt, sich an das Dröhnen zwischen den Schläfen gewöhnt zu haben, kippt es in die Dissonanz. Und es hört nicht auf, es hört einfach nicht auf. Irgendwo, ganz weit weg, hört man ein Lachen. Das muss die Hochzeitsgesellschaft sein, die um die Leiche der Braut im Kreis tanzt.

Und dann schält sich aus dem Kreischen eine Silhouette, die bedachten Schrittes auf den verblichenen Verstand zuhält. "Komm mit", flüstert sie und streckt ihm die knochige Hand entgegen. Kalt ist es geworden. Einsam. Nach all dem Krach, all dem Leid wirkt "Etienne" fast wie ein Trostpflaster, ein kleines bisschen weniger Horrorschau. Verstörend bleibt der Song aber trotzdem, denn Ethel Cain lehnt Spaß als Konzept ab. Ihre Musik funktioniert liminal. Wie ein leeres Kaufhaus, das von einem Monster bewacht wird. Wie ein Hotelflur, dessen Türen in neue Hotelflure führen. Wie ein Mensch, der dabei ist, sich seiner Kultur zu entledigen. Die kleine Flamme, die gemeinhin Zivilisation genannt wird, flackert. Ein Blinzeln später steht man vor den Trümmern der Luftschlösser, die in kindlichem Übermut in die Wolken gebaut wurden. Ein bisschen Asche erinnert an früher. Und der Wind bläst sie weg.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Punish
  • Housofpsychoticwomn
  • Pulldrone
  • Etienne

Tracklist

  1. Perverts
  2. Punish
  3. Housofpsychoticwomn
  4. Vacillator
  5. Onanist
  6. Pulldrone
  7. Etienne
  8. Thatorchia
  9. Amber waves
Gesamtspielzeit: 89:20 min

Im Forum kommentieren

kusubi

2025-01-21 07:51:41

@old nobody: das ist das.schöne an der Platte. Sie fordert einen. Werde ich sicher nicht oft hören, aber über viele Jahre immerwieder gerne.

Old Nobody

2025-01-20 22:25:07

Fantano ist auch sehr angetan vom Album und gibt ne strong 8. Bei mir ist es auch gewachsen weil die Gesamtstimmung einen echt voll reinzieht. Ziemlich intensives Hörerlebnis. Man muss aber auch angesichts der Länge schon echt Zeit mitbringen und vor allem die Bereitschaft den Weg des Albums mitzugehen.

Jüngling mit Apfel

2025-01-18 19:16:18

Mal abwarten. Zumindest mein Geld hätte ich dann doch schon gerne zurück. Zumal ich das Album noch nicht heruntergeladen hatte.

NeoMath

2025-01-18 19:11:54

Vielleicht hat sie einen Deal für die Scheibe ergattert und musste alles von BC usw entfernen. Da kommen demnächst bestimmt Infos zutage.

Jüngling mit Apfel

2025-01-18 18:57:15

Hatte das Album auf bandcamp gekauft. Seit heute befindet es sich jedoch nicht mehr in meiner Collection und ihre Seite existiert auch nicht mehr. Sehr seltsam.
Finde dazu im Internet keine Info. Weiß einer von euch mehr und/ oder hat das gleiche Probleme.

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