Die Verlierer - Notausgang

Mangel
VÖ: 14.06.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Glauben Sie dem Rummel

Nanu? Siebziger-Achtziger-Deutschpunk mit Wave-Kante, aber aus 2024? Schon wieder Neue Neue Deutsche Welle, dieses Mal halt mit mehr Suff und Siff? Nicht so ganz. Die Mitglieder von Die Verlierer, die sich unter anderem in Berliner Indie-Kombos wie Chuckamuck einen Namen gemacht haben, sind selbstredend viel zu jung, um persönlich mit dabei gewesen zu sein, als vor 40 bis 50 Jahren mit zwei Akkorden aus besetzten Häusern heraus zum Kampf gegen das spießbürgerliche Establishment aufgerufen wurde. Sie bringen aber klar zur Geltung, auf welche Einflüsse sie sich stützen, und dieser Umstand rückt ihre Band durchaus in die Nähe der gegenwärtigen NNDW-Bewegung. Anstatt jedoch Image und Sound vergangener Jahrzehnte für ein Gen-Z-Publikum aufzubereiten, bauen Die Verlierer die Originale ungeniert nach: Das zweite Album "Notausgang" ist praktisch eine Fälschung. Allerdings eine mehr als gekonnte – in etwa so wie ein Found-Footage-Film, der den Dilettantismus ja schon als Prämisse zur Kunstform erhebt.

Produktionstechnisch ist das Album eins zu eins seinen Inspirationsepochen nachempfunden: Die exzessiv eingesetzte Leadgitarre quietscht sich einen ab, die Drums scheppern und knistern, alles gedämpft im Pappkarton. Stücke wie "Allesfresser", "Attentat" oder das fröhlich runtergeschrubbte "Adrenalin" kratzen in den Ohren, aber das muss so. Was zählt, ist die Idee. Slogans wie "Fickt diese Stadt" stehen klangvollen Ergüssen wie "Ich begrabe meine Angst / Unter hundert Flaschen Hedonismus" entgegen – Die Verlierer brechen das Genre zwar nicht ironisch, sind allerdings mitunter lyrischer und reflektierter unterwegs, als die Szene-Polizei das dereinst durchgewunken hätte. "Stacheldraht" als herzzerreißende Kreuzung aus Joy Division und Ton Steine Scherben bringt gänzlich die poetisch-melancholische Seite zum Vorschein, der die Band zum Schluss mit "Verkeilt" nochmals das Rampenlicht widmet. Den frühen Muff Potter oder Duesenjaeger würde das auch gefallen, der bereits gezückte Emo-Stempel bleibt jedoch noch gerade so schweben. Neben Suff und Revolte ist Punk eben auch immer dazu da gewesen, dem "Schrottplatz der Gefühle" Ausdruck zu verleihen, und Die Verlierer spielen diese Funktion voll aus.

Im Titeltrack und ganz besonders in "Albtraum" wird der Spätsiebziger-Post-Punk-Groove zur Perfektion gebracht, "Harmonie" hingegen kippt nach wavigem Einstieg in waschechten Deutschrock. "Was machst Du, wenn Dein Viertel brennt? / Alle pissen in ein Instrument." Beißt sich die Hipster-Meta-Perspektive etwa bald mit provozierendem Fäkal-Vokabular? Bedienen Die Verlierer nicht eigentlich bloß die Sehnsüchte eines Mainstream-Publikums, sich auch mal alternativ zu fühlen und ein attraktives "Sub-" vor ihren immerzu gleichen und ständig reproduzierten Kulturbegriff zu setzen? Das Label veröffentlicht "Notausgang" stilecht auch auf Tape – es ist aktuell ausverkauft. Und im Berliner SO36 spielt die Band im Januar 2025 außerdem eine Zusatzshow, der hohen Nachfrage wegen. Ist das noch? Und darf das denn? Unser Fazit: Glauben Sie dem Rummel – aus genau welchen Gründen, ist eigentlich egal. Die Verlierer vereinen auf ihrem Werk zwischen Vierspurrekorder-Romantik und emotionalem Tiefgang nämlich sowohl Stil als auch Substanz, als Kunstprojekt ist es damit definitiv gelungen. Darüber hinaus: Punk ist und bleibt generell alles, was seinen Macher*innen und Hörer*innen gefällt.

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Das Gift
  • Fickt diese Stadt
  • Albtraum
  • Stacheldraht

Tracklist

  1. Das Gift
  2. Notausgang
  3. Fickt diese Stadt
  4. Allesfresser
  5. Albtraum
  6. Adrenalin
  7. Stacheldraht
  8. Beton
  9. Made/D.M.A.IP
  10. Attentat
  11. Harmonie
  12. Schrottplatz
  13. Unter den Wolken
  14. Verkeilt
Gesamtspielzeit: 45:11 min

Im Forum kommentieren

fakeboy

2025-01-05 12:44:08

Lieber spät als nie ;-)

eric

2025-01-05 12:09:22

Komischerweise komplett an mir vorbeigegangen in 2024. Taugt!

fakeboy

2025-01-03 23:46:09

Danke, das seh ich auch so ;-)

VelvetCell

2025-01-03 23:40:50

Exzellente Top 3. Soviel steht fest.

fakeboy

2025-01-03 23:39:36

Ist übrigens hinter The Cure und Chat Pile mein drittliebstes Album des vergangenen Jahres geworden.

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