
The War On Drugs - Live Drugs again
Transgressive / BertusVÖ: 13.09.2024
Die schon wieder
Adam Granduciel kann nicht aus seiner Haut. Dieser detailversessene Streber. Einfach mal auf "Record" drücken und abwarten, was passiert, wird schon gutgehen? Und falls nicht, dann auch nicht schlimm? Mut zum Risiko? Wo denken wir hin. An den Studioalben frickelt und tüftelt der The-War-On-Drugs-Kopf bekanntlich auch ohne Ende. So lange, bis jede Gitarrenspur haargenau so klingt, wie sie klingen soll. Wenn man sich eine Vorstellung vom Perfektionismus machen möchte, der auf "Live Drugs again" herrscht: "Under the pressure" wurde nach Granduciels Bekunden aus nicht weniger als sechs verschiedenen Aufnahmen nachträglich zusammengeklöppelt. Dem schieren Zufall überlassen ist da nichts. Und dennoch oder gerade deswegen ist das mittlerweile zweite Live-Album in vier Jahren ein beeindruckendes Dokument. Die bei Auftritten durch Multiinstrumentalistin Eliza Hardy Jones mittlerweile zum Septett angewachsene Band klingt zu jedem Augenblick wie eine organische Einheit, jeder Ton sitzt, ein Rädchen greift ins andere, der Sound glasklar, die Produktion auf den Punkt. Und so gewinnt ein Song wie "Harmonia's dream", der sich hier ganz zu Anfang bedächtig aufbaut, zwischendrin kurz einen Gang runterfährt, dann immer opulenter anwächst und entrückt ausdriftet, eine ganz eigene (Live-)Brillanz. Eine zehnminütiger Kurztrip, der auf die große Tour einstimmt, zu der The War On Drugs uns mitnehmen.
Deren Ziel ist ausgemacht, die einzelnen Etappen überraschen kaum, die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel. Wir wissen, woran wir sind, wohin die Reise geht. Seit mindestens drei Alben machen The War On Drugs zeitgemäßen Dad Rock auf höchsten Niveau. Offensichtlich inspiriert von namhaften Vorbildern, aber mit eigener Handschrift versehen. Musik, zu der Menschen vornehmlich mittleren Alters bei Konzerten auch mal im Takt mitklatschen können, ohne dass es gleich peinlich wird. Lag der Fokus von "Live Drugs" auf dem Song-Material von "Lost in the dream", wird nun vor allem das jüngste Studioalbum "I don't live here anymore" bedient und gewürdigt. Neben "Harmonia's dream" dürfen da natürlich "I don't wanna wait" und "Old skin" nicht fehlen, ebenso wie der Titelsong, der das Finale beschließt. Und der getragene Album-Opener "Living proof", der hier zwischen "In chains" von "A deeper understanding" und dem furiosen "Under the pressure" eingeklemmt ist. Aber auch die von Piano-Klängen getragene Ballade "Slow ghost", die als Bonus-Track beziehungsweise B-Seite bisher weniger im Rampenlicht stand, nimmt sich die ihr gebührenden drei Minuten, springt eben nicht über die Kitsch-Klippe, sondern schwebt scheinbar schwerelos darüber hinweg, während Granduciel sich wie so häufig in trüben Erinnerungen und dunklen Gedanken wälzt. "I've been crawling through the alleyways, and / Thinkin' 'bout some summer day / Talkin' 'bout the million ways / That I had gone wrong / I'm alive in the city / I think I died in the country / Another slow ghost walking / Through the valley alone."
Insgesamt lässt die Zusammenstellung der Songs keinen Anlass für Beschwerden oder Nörgelei aufkommen, persönliche Vorlieben beiseite gelassen. Und Ausfälle gibt's schon mal gar nicht zu verzeichnen. Die geringfügige Redundanz, darin bestehend, dass "Pain" und "Under the pressure" bereits auf "Live Drugs" zum Besten gegeben wurden, sei verziehen. Zudem The War On Drugs es im Gegenzug nicht versäumen, eine Lücke zu schließen: "Burning", auf "Live Drugs" von vielen noch schmerzlich vermisst, scheppert dafür jetzt umso wuchtiger und mitreißender aus den Boxen, Granduciels Gesang rau, aufgekratzt und drängend, mehr Bruce als Bob. Ein Highlight von vielen. Und à propos Springsteen: Auch aus der Frühphase der Band hat es noch ein Song aufs Album geschafft, nämlich "Come to the city". Hätten sich von 2011er-Album "Slave ambient" dem ersten Impuls nach andere Songs mehr aufgedrängt, vielleicht "Baby missiles" oder "Brothers", unterstreicht die boss-like Hymne, die ruhig beginnt und dann über die Straßen Philadelphias davon galoppiert, schließlich doch kongenial den eigenen Anspruch. Große Gesten auf großen Bühnen. Dass die gut geölte Stadionrockigkeit die leisen Töne auf "Live Drugs again" aber nicht unter sich begräbt, beweist dann nur einmal mehr, wie stimmig arrangiert und ausbalanciert da alles ist. Wie überlegt und souverän The War On Drugs mit Blick auf das große Ganze als auch auf die vielen kleinen Feinheiten zu Werke gehen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Harmonia's dream
- Burning
- Come to the city
- I don't wanna wait
- Slow ghost
Tracklist
- Harmonia's dream
- Burning
- Old skin
- Come to the city
- Pain
- Slow ghost
- In chains
- Living proof
- Under the pressure
- I don't live here anymore
Im Forum kommentieren
BunteKuh
2024-12-28 10:10:28
Das Album ist ganz große Live- Kunst. Da passt musikalisch eigentlich alles perfekt zusammen. Wunderbare Songs perfekt Instrumentalisiert.
Eigentlich bin ich ein Riesenfan der TWOTD.
Aber..... Manchmal brauche ich etwas Erholung von Adam Granducies "Näuselstimme". Das ist der einzige kleine Schwachpunkt der Band.
Aber die 8/10 gehen glatt in Ordnung. Fantastisches Live-Album.
Armin
2024-12-19 20:25:29- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Hierkannmanparken
2024-09-23 19:56:33
Danke für die Info! Ich hadere noch. Burning und Come to the City sind solche Highlights. Da fand ich Live Drugs insgesamt etwas überraschungsarm.
Kai
2024-09-23 19:34:50
Auf Insta haben sie als Antwort auf eine Frage geschrieben, dass es derzeit nur eine special edition ist und es später auch zu normalerem Preis kommen soll (dann wohl auch mit int. distri).
Ich finde die erste Live Drugs aber deutlich besser und werde auch bei einer günstigeren Version verzeichten.
Hierkannmanparken
2024-09-23 17:16:10
Weiß jemand was bezüglich LP-VÖ? Scheinbar bisher nur in den USA im Umlauf. Und wenn die hier auch 50€ kosten soll, überlege mich mir das nochmal...
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