
The Necks - Bleed
Northern Spy / BertusVÖ: 18.10.2024
Die Entfernung
Das Klavier ist zu laut. Schon klar, man könnte ja leiser drehen. Bloß diffundiert dann das weiterfolgende Geschehen auf The Necks' "Bleed" irgendwann ziemlich in den Hintergrund. Es mag sein, dass das Trio direkt in den ersten Sekunden dadurch etwas mitteilen möchte. Die harten Tastenanschläge erklingen womöglich bewusst einschneidend im Mix, sollen wie ein Ausrufezeichen aufwecken. Böse Zungen könnten meinen, das sei ja auch notwendig. Schließlich wendet sich "Bleed" ganz klar ab vom sehr zugänglichen Vorgänger "Travel". Es besteht wie die meisten Platten der Australier aus einer einzigen Komposition und diesmal gibt es keinen Groove, der sich einfurcht, kein wiederkehrendes Motiv – ja, nicht einmal einen klar erkennbaren Spannungsbogen. "Bleed", so weit man das kategorisieren möchte, ist Ambient Jazz mit Fokus auf dem ersten Wort. The Necks haben ihre Kompositionen sowieso immer ein Stück weit dem Zufall überlassen. Diese 42 Minuten scheinen diesen Ansatz bei oberflächlicher Betrachtung auf die Spitze zu treiben. Das Klavier bleibt präsent, wechselt jedoch virtuos über die Spielzeit hinweg von ätherischen Klängen zum Hämmern auf den Tasten am linken Ende des Instruments – da wo die Basstöne sich zu einem tiefen Grollen zusammenformen, das wie eine Schlechtwetterwolke durch das Album zieht. In den ersten Minuten sitzt "Bleed" wie anfangs skizziert tief im Ohr, man hört Atemzüge, das Kratzen von Haut oder Gegenständen auf Oberflächen, die Wucht, mit der Klaviertasten gedrückt werden. Spannung liegt in der Luft. Ohne sichtbaren Bruch, stattdessen nach und nach entfernt sich "Bleed", lässt mehr Instrumente und Geräusche zu, kippt nach einer guten halben Stunde in einen herrlichen Part, der von Percussion dominiert ist und findet zum Schluss sogar etwas wie ein leicht melancholisches Happy End. Vielleicht weil es die Distanz zu den Hörenden schafft? Von abstrakt zu konkret. Vom Detail zum full Picture. Wenn das elektrische Surren in dem harmonischen Comedown mündet, löst sich jedenfalls die Spannung. Und immer mehr wirkt "Bleed" doch nicht ganz so zufällig, wie es zunächst den Anschein hat. Für diese Theorie sprechen auch gewisse Stellen, an denen Töne und Klänge so urplötzlich vom Mix verschluckt werden, dass vermutlich doch hinterher jemand am Tape rumgebastelt hat. Zugleich intensiviert genau das die Atmosphäre: Obwohl "Bleed" sich wie von The Necks gewohnt langsam bewegt, bleibt das Gefühl, es könne ständig etwas Unerwartetes passieren. Dabei ist ihr 18. Studioalbum besonders in konzentrierten Durchgängen über Kopfhörer ein Erlebnis, während es sich in einer Umgebung mit Hintergrundrauschen nur schwer entfalten kann. Die Band selbst nennt es "a sublime language of stillness". Passt. Dass diese Koryphäen schon längst ihre eigene Sprache gefunden haben, beweist "Bleed" nun einmal mehr.
Highlights & Tracklist
Highlights
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Tracklist
- Bleed
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Armin
2024-12-12 21:01:30- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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