Kendrick Lamar - GNX

PGLang / Interscope / Universal
VÖ: 22.11.2024
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

A minor update

Okay. Ich weiß nicht, ob Du nicht ziemlichen Mist dieses Jahr erlebt hast. Aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass Drakes Jahr 2024 beschissener war als Deins. Hast Du Dich in ein von vornherein ungleiches Rap-Battle gestürzt? Bist von Kendrick Lamar in einer Reihe Diss-Tracks als schlechter Vater, kultureller Kolonisator und nicht zuletzt als "certified pedophile" beschimpft worden? Hast mitangesehen, wie "Not like us", einer dieser Songs, auf dem vor allem letzterer Aspekt zum Tragen kam, zum Sommerhit wurde? Mit einem Top-Video versehen? Vom Massenpublikum mitgegrölt, gern gleich sechs Mal hintereinander? Für einen fucking Grammy nominiert? Eben. Solch ein Spektakel hat man nicht mehr mitbekommen, seit sich vor über 20 Jahren Jay-Z und Nas auf ihren Alben gegenseitig beschossen haben. Und selbstverständlich war "Not like us" die Krönung des Ganzen, der endgültige Sieg für Lamar, weil's einfach ein verdammter Hit war. Er schließt 2024 nicht nur dadurch an der Rap-Spitze ab. Denn er hat mal eben noch ein großartiges Album in der Hinterhand.

"GNX" kam aus dem Nichts und dominiert natürlich die Konversation. Lamar setzt seinen Trend fort, auf jedes komplexe, introvertierte Album ein leichteres folgen zu lassen. Nach dem hyperkonzeptuellen "To pimp a butterfly" kam das vergleichsweise aus der Hüfte geschossene "Damn", während zuletzt das streitbare "Mr. Morale & the big steppers" tief in Lamars Psyche abtauchte und mit sich selbst beschäftigt war. Die zwölf Tracks von "GNX" ergeben nun nicht nur quantitativ sein leichtestes Werk. Was selbstverständlich relativ zu verstehen ist. Der lange Opener "Wacced out murals" beginnt nämlich erst einmal im lauernden Angriffsmodus mit Rundumschlägen zu düsterer "Fight club"-Atmosphäre. "This is not for lyricists, I swear it's not the sentiments / Fuck a double entendre, I want y'all to feel this shit." Selbstverständlich webt Lamar trotz allem mehrere Fäden durch "GNX": Das titelgebende Buick-Modell taucht lyrisch ebenso mehrfach auf wie Samples der Mariachi-Sängerin Deyra Barrera. Und zwar nennt er Drake nie direkt beim Namen, aber der Beef ist omnipräsent – wer denkt, dass die Wendung "back to back" nur zufällig in den Texten mehrfach vorkommt, glaubt auch an den Weihnachtsmann seine dicke Tante.

Bezeichnenderweise schlagen gleich mehrere Tracks in die Kerbe von "Not like us". Produzent Mustard kehrt zwei Mal selbst zurück – und bekommt auf dem launig marschierenden "TV off" einen gloriosen, meme-fähigen "Mustaaaaard!"-Shoutout, nachdem der Beat die Streicher einpackt und pompöse Bläser aufs Parkett wirft. Auch das zurückhaltende "Peekaboo" probt den Rhythmus und Lamar liefert die phonetische Beschreibung gleich mit: "Bing bop boom boom boom bop bam / The type of shit I'm on you wouldn't understand." Champion ist dieser Kategorie ist aber klar "Squabble up", das bereits im Video zu "Not like us" kurz angeteasert wurde. Das Sample von Debbie Debs "When I hear music" sitzt wie eine Eins, die Verse kommen mit schlagfertigem Flow um die Ecke und wie Lamar "Get the fuck out my faaaace" intoniert, ist purer Zucker. Nur an den zahlreichen orchestralen Einsätzen erahnt man auf "GNX" überhaupt einen unerwarteten Kollaborationspartner: Über-Produzent und Bleachers-Frontmann Jack Antonoff, sonst eher im (Indie-)Pop beheimatet, hat bei fast allen Tracks seine Finger im Spiel und beweist einmal mehr, dass er wandlungsfähig ist und aus den jeweiligen Interpreten das Beste herauszuholen vermag.

Das Storytelling kommt jedoch nicht zu kurz. Das von Soul durchtränkte "Heart pt. 6" – sonst eigentlich eine Reihe von Tracks außerhalb von Lamars Alben – erzählt von den seligen Anfängen zu Zeiten des Debüts "Section.80" bis zum Split seines langjährigen Labels Top Dawg Entertainment. "Poured everything that I had in the family business / Now it's about Kendrick / I wanna evolve, place my skillset as a black exec." In all der Direktheit rutscht sogar ein allzu plattes Bild wie "Put my heart on display like it was an iMac" durch – ähnlich wie der Closer seine Stift-als-lebensbegleitende-Liebe-Metapher am Ende zu offensichtlich auflöst. Das sind jedoch Tropfen auf den heißen Stein gegenüber dem energischen "Reincarnated", das nicht nur die Lebensgeschichten von John Lee Hooker und Dinah Washington mit Lamars eigener innerhalb einer Kette an Wiedergeburten verwebt, sondern dazu auch ein Gespräch mit Gott und ein 2Pac-Sample findet. Da ist er wieder, der meisterhafte Konstrukteur von Stories mit mehreren Ebenen.

Die Entschlackung im Vergleich zu "Mr. Morale & the big steppers" tut gut, Lamar weiß, dass er im Prinzip gar keine verworrenen roten Fäden inmitten des Albums braucht, um seinen Platz ganz oben zu behaupten und dass die Krone des Rap ganz allein ihm gebührt. "I deserve it all / The respect and the accolades", stellt er unterkühlt in "Man at the garden" fest. Wer Lamar im Shit-Talk-Modus am liebsten hat, wird mit "GNX" am meisten Freude haben, obwohl die Songs durchaus die ganze Palette dieses Ausnahmekünstlers abdecken. Bis auf SZA, die zwei Tracks mit ihren Vocals veredelt, sind die Gäste eher Kennern geläufig, fügen sich aber vor allem auf dem Posse-Cut und Titeltrack besonders gut ein, inmitten eines desorientierenden Beats. Lamar aber bleibt der Star seiner Show. Während sein Erzfeind sich also parallel vor Gericht gegen "Not like us" und angebliche Payola abmüht und sonst nur mit Aktionen wie einem grauenvollen "Hey there, Delilah"-Cover auffällt, kann sich Lamar auf einem ganzen Berg voller Lorbeeren ausruhen. Wenn er das möchte. He deserves it all.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Squabble up
  • Reincarnated
  • TV off (feat. Lefty Gunplay)

Tracklist

  1. Wacced out murals
  2. Squabble up
  3. Luther (feat. SZA)
  4. Man at the garden
  5. Hey now (feat. Dody6)
  6. Reincarnated
  7. TV off (feat. Lefty Gunplay)
  8. Dodger blue (feat. Roddy Ricch, Siete7x & Wallie The Sensei)
  9. Peekaboo (feat. AzChike)
  10. Heart pt. 6
  11. GNX (feat. Hitta J3, Peysoh & YoungThreat)
  12. Gloria (feat. SZA)
Gesamtspielzeit: 44:20 min

Im Forum kommentieren

Felix H

2024-12-03 15:34:38

@maxlivno:

Ganz ohne Konzept ist es bei Kendrick nie, das stimmt, ich empfinde es auf "Damn" aber gerade im Vergleich zu den Alben davor und danach schon deutlich in den Hintergrund gerückt – wie auch auf "GNX".

MopedTobias (Marvin)

2024-12-03 15:23:42

"Reincarnated" ist ja völlig irre. Glaube, ich hab die Redaktionspoll-Listen zu früh abgeschickt...

maxlivno

2024-12-01 22:30:46

gute Review, aber den Take das "Damn" kein High-Concept Album ist, würde ich nicht unterschreiben. Textlich ist's doch die Abarbeitung am eigenen Saviour-Komplex, der auf TPAB so deutlich war. Die Einsicht, dass man eben nicht allein alle(s) ändern kann. Musikalisch war es vielleicht "lockerer", aber im Vergleich zu GNX deutlich deftiger im (Sub-)Text

The MACHINA of God

2024-12-01 11:53:35

Naja, das Wort "bitch" in jedem Kontext mit "Schlampe" zu übersetzen ist halt auch nicht mehr so wirklich das Wahre.

Vorfahrt92

2024-12-01 11:46:59

Mehr Geld, mehr Macht, mehr Freiheit
Alles, was der Himmel uns erlaubt hat, Schlampe
Ich verdiene alles.

Na ja. Poesie ist Glückssache. Dagegen gar nicht so mies:

Ich wache um 6 Uhr auf.
Sechs Meilen am Tag konditionieren meinen Wind
Ich verdiene alles.



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