Charli XCX - Brat and it's completely different but also still Brat

Warner
VÖ: 11.10.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

How she's feeling now and it's completely different

"Brat" war ein wirklich, wirklich exzellentes Album. Charli XCX, schon immer gefangen zwischen Pop-Liebhaberschaft und Avantgarde-Ambition, schuf ihr vermutlich definitives Meisterwerk mit ihrem bereits sechsten (oder je nach Zählart sogar achten) Album. Als Kollege Tyczkowski seine Rezension verfasste, war aber noch nicht klar, welches Ausmaß der Erfolg der Platte und ihres Marketings drumherum annehmen sollte. Memes über das simple Artwork gingen steil, der Begriff "Brat summer" war in aller Munde, Omnipräsenz, kritische Würdigung und kommerzieller Erfolg verabredeten sich. Charli schob die selbsterklärend betitelte Deluxe Edition "Brat and it's the same but there's three more songs so it's not" wenige Tage nach Veröffentlichung hinterher. Das nun den Herbst veredelnde Remix-Album samt einer Flut an Gästen heißt entsprechend umgekehrt "Brat and it's completely different but also still Brat". Aber ist es wirklich komplett anders?

Ein paar Remixes, vor allem die bereits zuvor bekannten, nutzen weitgehend das Original und lassen die Gäste die Arbeit stemmen. In "360" feuern sich Robyn und Yung Lean die Verse zu, während "Guess" Billie Eilish auf Charlis Avancen antworten lässt: "Don't have to guess the colour of your underwear / Already know what you got going on down there." Famos und wholesome ist natürlich die Version von "Girl, so confusing". War das Original noch eine zerrissene Anklage an eine bis dato nicht näher benannte Dame, legt der Remix die Karten offen, indem die angesprochene Lorde in ihrer Strophe die Sicht der Dinge schildert: "Well honestly, I was speechless / When I woke up to your voice note / You told me how you'd been feeling / Let's work it out on the remix." Die Prophezeiung "When we put this to bed / The internet will go crazy" trat natürlich ein. Wundervoll.

Die meisten Neufassungen sind jedoch – teils bewusste – Abkehrungen von ihren Originalen. Das kommt nicht von ungefähr, ist "Brat and it's completely different but also still Brat" doch eine Reflektion über alles, was Charli seit dem Durchbruch persönlich beschäftigt. "It's a knife when you're finally on top / 'Cause logically the next step is they wanna see you fall." "Sympathy is a knife" dreht den Spiegel gemeinsam mit Ariana Grande nicht nur auf die Hater, sondern wird auch im Sound deutlich giftiger. Das in sich gekehrte "So I" nimmt sich dagegen den Leitsatz "Now I wanna think about all the good times" zu Herzen, anstatt weiter um Sophie zu trauern, gibt es schöne Erinnerungen: "Best night ever in Arcosanti / So many friends right there in the audience / When I look back, what the fuck was I wearing?"

Wie geschickt "Mean girls" mit Robo-Julian-Casablancas ein "Owner of a lonely heart"-Zitat einfädelt, macht ebenso Laune wie der Hyperpop-Overdrive im "Von Dutch"-Mix von A. G. Cook. Gänzlich umgekrempelt werden "I might say something stupid" und "I think about it all the time" von zwei Leisetretern. Jon Hopkins verdonnert ersteren zu winterlichem Flüsterton, lässt den Track im leeren, weißen Raum schweben, während Charli sich mit The 1975 verstohlene Blicke zuwirft. Mit Hilfe von Bonnie Raitts "Nick of time" macht Bon Iver letzteren Song dagegen zum emotionalen Zentrum, in welchem Charli ungefiltert und vielleicht auch etwas selbstfokussiert ihr Herz über den Druck des ewigen Industriezyklus ausschüttet: "First off you're bound to the album / Then you're locked into the promo / Next thing, three years have gone by."

Wenn "Brat and it's completely different but also still Brat" ein Problem hat, dann ist es die eh etwas unzugängliche Gefühlslage, die sich seltsam detailliert breit macht. Wer hat schon selbst mal ein Meisterwerk verfasst, das zum Runaway Meme wurde? Dementsprechend ist dieses Remix-Album zwar eine willkommene Addition zum Original, übertrifft oder gar ersetzt dieses jedoch an keiner Stelle. Ein paar Mixes wie "Rewind" oder "B2b" lassen klar den vorherigen Punch vermissen und sorgen eher für das Verlangen, direkt danach die Ursprungsfassung zu hören. Dass die Track-Reihenfolge von "Brat" (plus zwei der drei Bonus-Songs) stur eingehalten wurde, resultiert zudem in manch wilden Umbruch – es wäre schöner gewesen, "Brat and it's completely different but also still Brat" seine ganz eigene Dynamik zu gönnen. Vielleicht geht es ja auch nur darum, den "Brat summer" in die kalte Jahrezeit zu holen. Dazu taugt's mehr als genug.

(Felix Heinecker)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sympathy is a knife (feat. Ariana Grande)
  • Girl, so confusing (feat. Lorde)
  • Mean girls (feat. Julian Casablancas)
  • I think about it all the time (feat. Bon Iver)
  • Spring breakers (feat. Kesha)

Tracklist

  1. 360 (feat. Robyn & Yung Lean)
  2. Club classics (feat. BB Trickz)
  3. Sympathy is a knife (feat. Ariana Grande)
  4. I might say something stupid (feat. The 1975 & Jon Hopkins)
  5. Talk talk (feat. Troye Sivan)
  6. Von Dutch (A. G. Cook remix feat. Addison Rae)
  7. Everything is romantic (feat. Caroline Polachek)
  8. Rewind (feat. Bladee)
  9. So I (feat. A. G. Cook)
  10. Girl, so confusing (feat. Lorde)
  11. Apple (feat. The Japanese House)
  12. B2b (feat. Tinashe)
  13. Mean girls (feat. Julian Casablancas)
  14. I think about it all the time (feat. Bon Iver)
  15. 365 (feat. Shygirl)
  16. Guess (feat. Billie Eilish)
  17. Spring breakers (feat. Kesha)
Gesamtspielzeit: 50:36 min

Im Forum kommentieren

Filip

2024-12-16 13:33:06

Wenn die Leute ihre Muttersprache nicht mehr adäquat beherrschen, kommt vermutlich so ein Albumtitel heraus.

Affengitarre

2024-12-16 13:30:24

Und Lordes Part ist natürlich fantastisch!

Affengitarre

2024-12-16 13:26:15

Schöne Rezension, kann ich insgesamt so mitgehen. Viele interessante Versionen und durch die neuen Texte hat das Ganze teilweise eher Sequelcharakter und wirkt weniger wie ein klassisches Remixalbum. Leider wirkt es soundtechnisch zu zerstückelt, der tolle Flow des Originals wird leider nicht erreicht.

Der Remix mit Caroline Polachek ist richtig toll, hoffentlich kommt von ihr auch bald etwas Neues.

Armin

2024-11-30 22:44:03- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?




Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum