Seachange - Lay of the land
Matador / Beggars / IndigoVÖ: 08.03.2004
Land unter
Die ungreifbare Leere des eigenen Daseins. Die lähmende Langeweile des Lebens. Die nicht zu erklärende, immerwährende Unzufriedenheit des Menschen. In den nächsten 51 Minuten und 57 Sekunden wird sich alles, was an dieser Welt schlecht ist, auf Nottingham konzentrieren. Das kleine, häßliche Nottingham in England, aus dem Seachange kommen. Seachange. Vier Männer und eine Frau, die all das so lange in sich reingefressen haben, bis es zu Musik geworden ist. Und jetzt sollte man mindestens zwei von ihnen besser im Auge behalten.
Da ist Dan Eastop. Einer dieser Männer, von denen man fälschlicherweise glaubt, sie anhand ihrer Stimme beschreiben zu können. Typ britischer Hooligan, Glatze, Bierbauch, latent gewalttätig. Wenn ihm das ausweglose "Glitterball" tiefe Sorgenfalten in die Stirn ritzt, sollte man sich Gedanken um seine Gesundheit machen. Und wenn er sich im muskelbepackten "SF" auch noch die Stimme kaputt macht, fühlen sich Wehrdienstabsolventen wahrscheinlich an ihren Grundausbilder erinnert. Auf der anderen Seite steht Johanna Woodnutt. Eine Frau, die Geige spielt, aber keinem der dazugehörigen Klischees gerecht wird. Sie klingt, als hätte sie Stahlsaiten aufgezogen und schneidet den Songs mit ihren eiskalt gesetzten Kontrapunkten tiefe Wunden ins Fleisch. Zusammen mit Eastop ist sie wahnsinnig.
Auch wenn sich "Lay of the land" häufig auf das Gegenspiel der beiden konzentriert, darf der Rest der Band nicht vergessen werden. Sie gehen unbeirrt mit, wenn Eastop und Woodnutt ihren grobkörnigen Indierock gnadenlos durchziehen. Sie stehen gegen tollkühne Sechsminüter wie das stark ausbruchgefährdete "Come on sister" ihren Mann. Und sie machen das alles mit einer solchen unverschiebbaren Präsenz, daß am Ende wirklich kein einziges unnötiges Gramm Fett an dieser Platte übrig bleibt. No Bullshit. Als hätte Steve Albini produziert.
Das ist aber längst nicht alles. "Lay of the land" ist mehr als der blutige Brutalo-Rock, für den Stücke wie "Forty nights" stehen. Es startet mit zwei Songs, die bei lebendigem Leib zu einem zusammengenäht wurden. Es geht mit "News from nowhere" weiter, das der Popsong des Albums sein könnte, wenn da nicht dieses nervöse Ruhe-vor-dem-Sturm-Zucken wäre. Und es bringt die Bitterkeit, die Aussichtslosigkeit und all die aufgestaute Wut, die diese Männer und diese Frau langsam auffressen, so unbarmherzig, ungefiltert und eindringlich auf den Punkt, daß ihre Schmerzen zu unseren Schmerzen werden. Vielleicht das Größte, was Musik leisten kann.
Highlights & Tracklist
Highlights
- News from nowhere
- Glitterball
- The nightwatch
- Come on sister
Tracklist
- Anglokana
- News from nowhere
- Glitterball
- AvsCo10
- The nightwatch
- SF
- Forty nights
- Do it all again
- Carousel
- No questions
- Come on sister
- Fog
Im Forum kommentieren
Dominik
2006-07-17 14:31:17
Ganz großes Album. Kann man immer wieder hören.
Gibts übrigens derzeit für 9,99 Euro bei Amazon, bitte zuschlagen.
mutant
2006-01-02 11:27:08
oh, No Backward Glances ist aber nach mehrmaligem hören echt super.
reumor
2005-10-06 22:35:16
Danke für den Tipp!
Leider ist "No Backward Glances" tatsächlich nicht gerade ein Knüller, aber ich bin froh, dass Seachange (anscheinend) dem Stil des Debuts treu bleiben. Insgeheim hoffe ich ja noch sehnlichst, dass ein bißchen mehr Geschrei auf der neuen Platte vorkommt.
Spenderleber
2005-10-06 13:20:41
Auf ihrer Homepage gibts ein Lied vom hoffentlich bald kommenden neuen Album zum downloaden.
Hört sich nicht nach viel Veränderung an, trotzdem ist das Lied überdurchschnittlich.
Ruhelose, oder besser gesagt, stürmische Musik wie eh und je.
Groß rauskommen bitte.
Spenderleber
2005-08-18 13:34:54
Absolut richtig.
10/10
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