Primal Scream - Come ahead
BMG / UniversalVÖ: 08.11.2024
Die drei von der Funkstelle
Es ist ja nicht so, dass Bobby Gillespie in den acht Jahren seit "Chaosmosis" wirklich von der Bildfläche verschwunden gewesen wäre: 2021 erschien nicht nur die Kollaboration "Utopian ashes" mit Jehnny Beth, sondern auch seine durchaus empfehlenswerte Autobiografie "Tenement kid", welche die Kindheit und Jugend des Glasgowers bis zum Megaerfolg mit den Acid-Hymnen von "Screamadelica" behandelte. Der 30. Geburtstag jenes Albums wurde mit Special Edition und Jubiläumstour entsprechend ausführlich zelebriert, und zuletzt blickte der Primal-Scream-Zeremonienmeister gemeinsam mit seinen Söhnen ebenso missmutig cool wie etwas überraschend als Model von H&M-Plakatwänden. Tatsächlich war lange nicht klar, ob es nach der Pause und dem Tod von Keyboarder Martin Duffy überhaupt noch eine neue Platte der Band geben würde. Anstatt der früher üblichen Studio-Jams hatte Gillespie diesmal die Texte und Melodieentwürfe bereits beisammen, bevor Produzent David Holmes vornehmlich Funk- und Disco-Soundskizzen lieferte und Urgestein Andrew Innes schließlich Gitarrenparts beisteuerte.
Primal Scream waren seit jeher von einem gewissen politischen Furor getrieben, der sich immer in klarer Positionierung, wenn auch nicht immer in über alle Maßen gelungenen Lyrics manifestiert hat. Auch "Come ahead" bildet da keine Ausnahme, denn Gillespie wettert teils etwas ungelenk gegen Kapitalismus, Klassenunterschiede und Kolonialismus. Gleichzeitig wird es diesmal auch persönlich: Ein Foto seines verstorbenen Vaters ziert das Albumcover und ihm ist auch der Opener "Ready to go home" gewidmet: Nach einem sehr sakralen Beginn mit weiblichem Gospelchor senkt sich noch während der Messe die Spiegelkugel über dem Mittelgang der Kirche, und über einen ungeheuer funky Discobeat mit angemessen schwülstigen Streichern zelebriert Gillespie die Umwandlung von Trauer zu Akzeptanz und unbedingt tanzwütiger Resilienz. Ähnlich mitreißend groovend und ohrwurmfördernd geht es mit "Love insurrection" samt souliger Flöte und Nile-Rodgers-Lick weiter. "Innocent money" belehrt dann im gefälligen Gewand eines Blaxpoitation-Soundtracks zur Trickle-Down-Ökonomie.
Das Funkpedal drücken Primal Scream jedoch nicht durchgehend derart komplett durch: In der kathartischen Gospel-Ballade "Heal yourself" croont Gillespie so verletzlich wie zuletzt in der "Screamadelica"-Atempause "Damaged". Der songgewordene, wabernde Stoßseufzer "Melancholy man" samt Saxofon- und herrlich klassischem Gitarrensolo strapaziert womöglich die Geduld von Fans der "XTRMNTR"-Ära. Der Titel des sehr vergnüglichen, Afro-Dub-inspirierten "The centre cannot hold" ist nicht nur eine Zeile von William Butler Yeats oft zitiertem und selten verstandenem Gedicht "The second coming", sondern beschreibt auch den vielleicht nicht ganz so gut gelungenen Mittelteil des Albums. Besonders "Circle of life", das sich mit Alkoholismus befasst, mäandert sechs Minuten lang stilistisch chaotisch und recht ziellos vor sich hin. Allerdings bereichern zwei musikalische Langgedichte den vielfältigen Klangkosmos von Primal Scream um eine weitere Komponente: Im bluesigen "False flags" sinniert Gillespie über Soldatentum und Desillusionierung, und der abschließende, epische "Settlers blues" samt Soundlandschaften aus Pink-Floyd-Gitarren ist eine 16-strophige Abrechnung mit der kolonialistischen Geschichte des Vereinigten Königreichs, denkt aktuelle Konflikte dabei jedoch unmissverständlich mit. Der Albumtitel "Come ahead" bedeutet im Glasgower Slang so viel wie "Komm doch, wenn Du Dich traust" – Primal Scream bleiben unverändert unbeirrbar, abwechslungsreich, unterhaltsam. Und das Ganze jetzt auch noch in funky.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Ready to go home
- Love insurrection
- The centre cannot hold
Tracklist
- Ready to go home
- Love insurrection
- Heal yourself
- Innocent money
- Melancholy man
- Love ain't enough
- Circus of life
- False flags
- Deep dark waters
- The centre cannot hold
- Settlers blues
Im Forum kommentieren
ijb
2024-11-21 21:06:41
Ha, "soo schlecht" war die "Beautiful Future" vielleicht nicht, aber doch schlechter als alle anderen Alben seit 1989.
Sogar das von den meisten verächtlich verschmähte "Riot City Blues" ist dagegen ein Meisterwerk. Da empfehle ich übrigens sehr die Neuauflage zum 20. Jubiläum, als Doppelalbum um eine ganze Reihe Songs erweitert; habe ich letztens für rund 20 Euro als (Doppel-)LP gekauft. Ich verstehe die Abneigung da tatsächlich nicht. "Beautiful Future" hab ich über die Jahre immer wieder mal ne Chance gegeben; ich kann's mir kaum anhören und hab nach den Vorabsongs auch echt ziemlichen Bammel vor dem neuen Album. Die neue Rezension ist ja schon positiver, als ich erwartet hätte.
Sungame
2024-11-21 20:56:24
Höre das Album jetzt zum 3. Mal durch, denke, das passt schon. Keiner wird mehr Großtaten von dem Rest-Scream-Team erwarten... und dafür unterhält die Platte recht gut. Die Band ist ja quasi nur noch zu Zweit...immer heiter weiter...und soo schlecht war die Beautiful Future auch nicht. Damals auf der Tour kamen die Songs ordentlich rüber. Uptown...
Armin
2024-11-21 19:39:18- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
The MACHINA of God
2024-11-14 16:59:01
Defintiv mag ich es jetzt schon mehr als die mauen "Chaosmosis" und "Beautiful future". Es ist auch deutlich konsistenter irgendwie. Ein Highlight der Diskographie oder zumindest auf "More light"-Niveau scheint es aber nicht zu sein. Denke wird sich irgendwo um die 7/10 einordnen, aber mal sehen.
ZoranTosic
2024-11-14 16:51:09
Läuft bei mir gerade das erste mal. Gefällt mir bisher ausgesprochen gut... mal schauen wie es sich entwickelt.
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