Kim Deal - Nobody loves you more
4AD / Beggars / Rough TradeVÖ: 22.11.2024
Endlich frei
Wer Bass spielt, hat's nicht leicht, denn so richtig im Rampenlicht steht man mit diesem Instrument nur selten, wenn man nicht gerade Jaco Pistorius oder Sting heißt. Noch schwieriger ist es, wenn man als Frau und Bassistin über Jahre in einer reichlich testosteronschwangeren Formation wie den Pixies unterwegs ist: Zwar durfte Kim Deal hier und da die Kontra-Elfe und Quotenfrau zum Grummelkopf Black Francis mimen – am Ende stand sie aber immer im Schatten des raubeinigen Pixies-Masterminds. Den nachfolgenden Breeders-Alben merkte man diese starke Prägung dann auch deutlich an.
Nach sechseinhalb Jahren Pause ist Kim Deal zurück. Und "Nobody loves you more" ist der erste Longplayer, in dem sie sich geradezu lustvoll freigestrampelt zu haben scheint. Weg mit den alten Soundwelten, Festplatte gelöscht und frech nach vorne gespielt. Das neue Kim-Deal-Album stellt eine grandiose, abwechslungsreiche und stets unterhaltsame Wundertüte dar, in die man immer wieder mit Freude hineinlangt. Stilistisch ist die Angelegenheit schwer zu fassen, was wohl auch daran liegt, dass nicht nur alte Mitstreiter wie Mando Lopez, Kelley Deal, Jim Macpherson und Britt Walford mit an Bord sind, sondern auch illustre Gäste: Auf dem neuen Album hören wir Raymond McGinley von Teenage Fanclub, Jack Lawrence von den Raconteurs, aber auch Fay Milton und Ayse Hassan von Savages. Diese bunte Truppe zeigt vergnügt auf, dass viele Köchinnen und Köche nicht zwingend den Brei verderben müssen, sondern auch eine höchst abwechslungsreiche Menüfolge mit elf Gängen servieren können.
Mutig gesetzt ist der Opener "Nobody loves you more", der musikalisch so brillant und vielschichtig ist, dass man unweigerlich Sorge bekommt, ob Kim Deal hier nicht gleich ihr Pulver verschießt (was sie nicht tut). Wir hören große Orchesterarrangements mit Streichern und Bläsern, einen feminin-intimen Gesang, der auch einer Jane Birkin nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte – und dazu als schönen Kontrast ein herrlich rumpeliges Schlagzeug, damit's am Ende nicht zu süßlich wird. In "Coast" wiederum trifft Lo-Fi-Pop nach Art der frühen Go-Betweens auf Harmonien, die raffiniert mit Blondie-Zitaten ("The tide is high") spielen. "Summerland" wäre ein Track, für den sich Lana Del Rey nicht schämen müsste – und "Are you mine" bringt wiegenden Sechsachteltakt, eine sehnsuchtsvoll-nächtliche Pedal-Steel-Guitar und traumwandlerische Akkordwechsel.
Wer jetzt mutmaßt, dass Kim Deal komplett ins seichte Fach gewechselt ist, der irrt zum Glück. Das höchst rumpelige "Crystal breath" kommt mit verzerrten Drums, stumpfen Basslinien und schrappeligen Gitarreneinwürfen – so könnten The Fall heute klingen, wenn sie mit einer Frau wiederauferständen. Richtig zornig-laut wird's bei "Big Ben beat", und der Rausschmeißer "A good time pushed" weckt Erinnerungen an selige Zeiten, als Teenage Fanclub noch nicht vollständig der Beliebigkeit anheimgefallen waren, sondern mit sauber aufgeschichteten Gitarrenwänden und gewitzten Harmonien überzeugten.
Kim Deal ist angekommen. Sie muss nicht mehr die Elfe mit der hohen Stimme geben und auch nicht das bockige Grunge-Girl. Sie hat eine vollkommen neue Stilwelt erschaffen, die zwischen Starkstrom-Gospel, Sechziger-Jahre-Beat, Americana-Folk, Country und klassisch-stolperndem Gitarren-Indie hin- und heroszilliert. Geht das zusammen? Ja: Man stelle sich eine mindestens zwanzigstündige Fahrt mit einem staubigen Greyhound-Bus quer durch Amerika vor – dieses Album ist dafür der perfekte, ja zwingende Soundtrack.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Nobody loves you more
- Are you mine?
- Summerland
- A good time pushed
Tracklist
- Nobody loves you more
- Coast
- Crystal breath
- Are you mine?
- Disobedience
- Wish I was
- Big Ben beat
- Bats in the afternoon sky
- Summerland
- Come running
- A good time pushed
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The Libertine
2024-11-26 09:52:00
Muss ich mir noch anhören.
ZoranTosic
2024-11-25 20:53:12
@Libertine: Wie stehst Du zu den späteren Breeders Sachen? Haben die Dich bekommen?
The Libertine
2024-11-25 10:24:27
Mag vor allem die orchestralen und opulenten Stücke. Die kratzigeren Songs haben (für mich) eher B-Seiten Charakter. Finde auch das Songwriting solide, aber auch nicht grandios. Melodien die sich wirklich festsetzen sind eher Mangelware.
Würde 6/10 geben. Muss es aber noch häufiger hören.
fuzzmyass
2024-11-23 10:53:18
"Das ist alles was man sich erhoffen konnte - ein wunderbares Album voller Highlights. "
Exakt! Meine Erwartungen waren schon recht hoch und wurden spielen leicht erfüllt, evtl. sogar übertroffen (das müssen aber dann viele kommende Durchgänge im Laufe der Zeit verifizieren)... toller Sound, großartige Arrangements auch mit den orchestralen Elementen ohne den individuellen alternativen Charme der Künstlerin wegzubügeln, super Stimme, Abwechslung und grandiose Songs in einem runden Werk teils überraschende Gästeliste (Ayse und Fay von den Savages!)... ich bin begeistert!!
ZoranTosic
2024-11-23 08:13:43
Das ist alles was man sich erhoffen konnte - ein wunderbares Album voller Highlights. Wie schon die Solosingles von vor ca. 10 Jahren hat das hier so eine hohe Qualität.
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