Father John Misty - Mahashmashana

Bella Union / Rough Trade
VÖ: 22.11.2024
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Under the skin

Bisher haben sich Father John Mistys Alben vor allem dem Spannungsfeld zwischen Zynismus und einer aufrichtigen Sorge um den Zustand der Welt verschrieben. "Mahashmashana" prägt wieder ein Dualismus, jedoch geht es hier in erster Linie um das Verhältnis von alltäglicher Wirklichkeit und überirdischer Transzendenz. Nirgendwo sonst erzeugt diese Begegnung so viel Reibung wie in "Josh Tillman and the accidental dose". Der Acid-Trip des plötzlich mit seinem Klarnamen hantierenden Musikers wird von einer zehrenden Diskussion in die Hölle der Realität zurückgeholt: "A publicist and a celibate started talking politics / By a small degree, she got him to admit / They're tacit fascists without knowing it / And oh this went on and on / Performance art? Elaborate con? / Baby, who wears pearls at 4 am? / This Pynchon yuppie found meaning's end." Die Referenz auf den großen Postmodernisten verschiebt sich zu einem Kinderreim, den jüngst auch Nick Cave dekonstruierte: "All the king's horses, all the king's men / You may never be whole again." Der Track selbst schraubt entspannten Spoken-Word-TripHop mit funkensprühenden Streichern zusammen – und beweist damit, dass Tillman nach dem etwas drögen "Chloë and the next 20th century" seine textliche Vielschichtigkeit mit ebenso dynamischer Musik begleitet.

Das Sanskrit-Wort "Mahashmashana" bedeutet wörtlich "großer Krematoriumsplatz" und steht symbolisch für Vergänglichkeit oder spirituelle Transformation. Letzteres ist eine gute Beschreibung für die Wirkung des Titelstücks, dessen absurde Orchester-Grandezza Produzent Jonathan Wilson perfekt in Szene setzt. Es geht um gefallene Sterne, universale Dämmerungen und Leichentänze, und irgendwie schafft es Tillman nicht zum ersten Mal, die ganze menschliche Existenz in einem knapp zehnminütigen Longtrack zu verstauen. Auch das thematisch mehr in Bodennähe bleibende "Mental health" durchzieht der opulente Wohlklang bis zur von den Füßen reißenden Klimax, doch diesmal sind die Bruchmomente präsenter. Die zweite Single "Screamland" holt BJ Burton und Alan Sparhawk ins Boot und klingt stellenweise so, als würde Lows "Hey what" als verzerrtes Fundament für einen Stadion-Refrain herhalten.

Das größte Ausrufezeichen setzt in dieser Hinsicht "She cleans up", ein arty Post-Punk-Groover mit scharfkantigen Gitarren, Kuhglocken und finalem Saxofon-Kollaps, der von einem gewissen Jonathan-Glazer-Film über eine männerfressende Außerirdische heimgesucht wird: "What is the one about the female alien? / Scarlett drives the Scottish countryside inside of a white van / I dreamt about it last night and it did my whole day in / Under the something, man, I'm never gonna touch that shit again." Die Schweden von Viagra Boys und Fireside-Gitarrist Pelle Gunnerfeldt tauchen in den Credits auf, was ob der windschiefen Ästhetik weniger überrascht, als es sollte. Dass selbst die größten Genies in dieser Welt irgendwann verrückt werden, wusste schon Allen Ginsberg – genau auf den nimmt neben gefühlt 100 anderen Berührungspunkten "I guess time just makes fools of us all" Bezug, der zweite epische Rundumschlag. Im Gegensatz zum Opener schwebt dieser allerdings nicht in den Äther, sondern treibt konstant vorwärts, entwickelt mit Bläsern und elaborierter Percussion einen hypnotischen Sog, ehe er im Schlussspurt den Funk komplett von der Leine lässt.

Die Dichte von Worten und Klängen kann manchmal erschlagend wirken, doch um nichts anderes als die absolute Überwältigung des Menschseins ging und geht es Father John Misty. Unter all der Last hält nicht einmal das Selbst stand, sodass der reduzierteste Song der Platte "Being you" eine andere Identität anzunehmen versucht, weil die eigene längst verloren ist: "In my memory, there's a show I call the past / I watch and decide just what I wanna do next / Just a spitting image of someone I forget / A perfect panoply." Trotz seines resignierten Titels ergibt sich der Abschluss-Schwelger "Summer's gone" allerdings nicht dem Schicksal. "And time can't touch me", lautet die finale Absage an die mächtigste aller Unterdrückungsstrukturen, ein in seiner Kompromisslosigkeit nicht zu überbietendes Testament der Selbstbestimmung. Das geht, wie viele weitere Teile von "Mahashmashana", wahrlich unter die Haut.

(Marvin Tyczkowski)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Mahashmashana
  • Josh Tillman and the accidental dose
  • I guess time just makes fools of us all

Tracklist

  1. Mahashmashana
  2. She cleans up
  3. Josh Tillman and the accidental dose
  4. Mental health
  5. Screamland
  6. Being you
  7. I guess time just makes fools of us all
  8. Summer's gone
Gesamtspielzeit: 50:29 min

Im Forum kommentieren

Huhn vom Hof

2024-12-02 19:40:08

Sie kannten den noch nicht?!

Nope, ich konnte mir unter seinem Namen nix vorstellen. Die Fleet Foxes kenn ich aber natürlich.

Hierkannmanparken

2024-12-02 16:13:04

Being You ist doch so ein größenwahnsinniger Song nach dem Motto: Hach, einen Tag lang mal in die Haut eines Normalsterblichen eintauchen. Oder?? :D

Rhyton

2024-12-02 15:56:47

Sie kannten den noch nicht?!

Huhn vom Hof

2024-12-02 15:13:34

Der Titelsong ist super. Noch eine tolle Neuentdeckung 2024 :)

bender

2024-11-26 10:21:36

Schon sehr stark.

Highlights für mich die Ungeraden, allen voran "Josh Tillman...". Könnte aber sein, dass "Screamland" mit der Zeit etwas zu viel wird. Schon etwas over the top.

Und Mahashmashana hätte mir am Ende besser gefallen.

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum