Gwen Dolyn - X-rated feelings

Duchess Box / Bertus
VÖ: 22.11.2024

Mäßig sediert

Gwen Dolyn geistert zwar bereits seit ein paar Jahren durch den Untergrund, hat aber erst 2023 als eine Hälfte des NNDW-Projekts Tränen eine breitere Öffentlichkeit erreicht. Nun schickt sie sich mit ihrem ersten wirklichen Soloalbum "X-rated feelings" an zu beweisen, dass sie auch im absoluten Alleingang eine Gewinnerin ist, und zwar ganz ohne Genre-Labels – und auch ohne Kraftklub-Gitarrist. Zwischen Indie-Pop-Rock, Singer-Songwriter-Pose und Elektro-Ausflügen geht sie äußerst vielfältig an die Sache heran. Was die elf Stücke jedoch eint, ist der ungefilterte Blick auf die verschiedensten Stimmungsbilder, Sorgen und Sehnsüchte der Künstlerin, ihre "X-rated feelings" eben: Befindlichkeitsfixierung für die nächste Generation.

Zunächst bleibt es aber bei Altbekanntem, den Achtzigern und Herz-Schmerz-Reimen nämlich, diesmal vom Erfinder höchstselbst: Dolyn bereitet Heinz Rudolf Kunzes "Dein ist mein ganzes Herz" für die Indie-Kids auf, im Gegensatz zum Urheber hält sie sich dabei aber extrem nah ans Original. Die erste Single "Ertrinken" ist schon eher am Zeitgeist, "Hoffnung ist ein schöner Junge / Streit um Kunst und Politik", doch direkt nach dem Ghosting hilft bloß noch der tiefe Blick ins Glas. Dazu schrammeln Gitarre und Bass im Einklang, Dolyn singt wieder wie eine junge Eva Briegel – zack, Hit. Das luftige "Mies präpariert" fängt das mit dem Crush und dem Absturz danach sogar noch besser ein, jongliert mit haufenweise Anglizismen und einem tollen Refrain. So könnte es weitergehen.

Mit dem Duett "Blut auf dem Rasen" manövrieren sich Dolyn und Gesangspartner Eric von der Thüringer Band Mamoré jedoch gefährlich nah an die scharfen Klippen des Deutschpop-Einerleis, wenngleich sie sich noch nicht ganz in den Abgrund reißen lassen. Das düstere "Engelboy" stünde daneben auch einer Mia Morgan super zu Gesicht. Der anschließende Griff zu Synths und Club-Sounds ist jedoch zweifelsfrei riskant: Wenn man in "Benzos und Blut" nämlich schon mäßig sediert auf die ironische Brechung wartet, die dann aber nicht kommt. "F.u.K." ballert ähnlich fröhlich umher, zeichnet sich aber durch einen expliziten und im Endeffekt unterhaltsameren Text aus.

Im besten Stück des Albums schaltet die Künstlerin in akzentfreies Englisch und einen gänzlich anderen Themenbereich: Auf zartem, später ausbrechendem Songwriter-Gitarrenspiel besingt sie in "After you left my body" schonungslos eine Fehlgeburt und die damit einhergehende Trauer und Machtlosigkeit. Schon das Tränen-Stück "Kapitulation" glänzte durch unmittelbare Ernsthaftigkeit, nun setzt Dolyn auch hier ein bleischweres Gegengewicht zu ihrer sonst oft flapsig-bekömmlichen Musik. Das spätere "Well educated brat" schließt dort an und wird zur ungefilterten Bestandsaufnahme dessen, was es heutzutage alles heißen soll, Frau zu sein. Diese Sprunghaftigkeit sorgt allerdings auch dafür, dass "X-rated feelings" insgesamt einen gewissen Mixtape-Charakter entwickelt, dessen Ausreißer nach oben die Songs, die da nicht mithalten können, umso weiter zurücklassen.

(Ralf Hoff)