I Häxa - I Häxa
Pelagic / CargoVÖ: 01.11.2024
So schallt es zurück
Und plötzlich ist alles anders. Wo gerade noch die Sonne schien, herrscht Finsternis. Eine einsame Krähe fliegt über das verwaiste Land, die Bäume ragen kahl ins Fahle. Eine Stimme ruft aus der Dunkelheit, sie klingt verlockend, beinahe verführerisch. Zuerst zögerlich, dann immer schneller stolpert der Mensch dem Wald entgegen, bis er vom Zweigwerk verschlungen wird. Es gibt kein Zurück mehr, nur noch Verlangen. Diese Stimme, sie kann nichts Böses wollen, ist sie doch der einzig verbliebene Hauch von Schönheit in dieser toten, kalten Welt. Mit letzter Kraft erreicht er eine kleine Lichtung. Dort wartet sie, die Sängerin. Mit einem kühlen Lächeln schließt sie den naiven Tropf in ihre Arme. Und rammt ihm ein Messer in den Rücken. Ihr leises, keckerndes Lachen hallt durch das Geäst, während Blut den Waldboden tränkt.
Fiktion? Natürlich. Aber wie soll man sich einem Werk wie dem Debüt von I Häxa nähern? Einem Album, das bereits im Lauf des Jahres Stück für Stück in EP-Form veröffentlicht wurde. Einem Album, das so merkwürdig anders und gleichzeitig so unglaublich gut ist, dass man sich rasch in Superlativen verliert, wenn man versucht, die Musik zu beschreiben. Hinter dem Projekt verbergen sich die Sängerin und Violinistin Rebecca Need-Menear und der Produzent Peter Miles. Ihre Kunst geht dabei weit über das Musikalische hinaus: Begleitend zu den EPs veröffentlichte das Duo Kurzfilme, die irgendwo zwischen Hexensabbat und okkultem Ritual einzuordnen sind. Das Perfide daran: Was bei so mancher Band aus dem angeblich düsteren Sektor peinlich wirkt, funktioniert bei I Häxa hervorragend. Verantwortlich dafür? Die Songs.
Denn diese operieren weit jenseits dessen, was man Zeitgeist nennen könnte. Die Einflüsse aus den 90er-Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts sind nicht von der Hand zu weisen. Björk, Tricky, Portishead, Radiohead – schon nach wenigen Tracks ist klar, welche Platten sich bei den Künstlern zu Hause im Schrank tummeln. Dabei zitieren I Häxa nicht nur, sie nutzen das Vorhandene, um daraus Neues zu schaffen. Mit beeindruckender Souveränität nehmen sie die Hörer an den Händen und führen sie schnurstracks ins Verderben. Schon der Opener "Underworld" macht deutlich, dass hier die Uhren anders ticken. Schwere Synthesizer-Akkorde kämpfen gegen Industrial-Beats an, während sich Need-Menear der Depression hingibt. Wer ein Album so eröffnet, weckt zuallererst Erwartungen.
Und diese werden mit Bravour erfüllt: In 60 Minuten bringen I Häxa so viel unfassbare Musik unter, dass man sich fragt, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht. "Sapling" schlingert beispielsweise zwischen Tag- und Albtraum umher, wobei besonders das Zusammenspiel von Drums und Piano in den Bann zieht. "The well" klingt hingegen wie ein Bond-Theme für einen Film, in dem der Geheimagent nicht gegen einen Superschurken, sondern gegen Dracula antreten muss. Opulente Streicher sorgen für eine bedrohliche Grundstimmung, ehe im großen Finale der Kiefer heruntergeklappt werden darf. I Häxa machen im Kern elektronische Musik, sie nutzen dabei aber gezielt akustische Elemente, um falsche Fährten zu legen. Immer dann, wenn man sich in Sicherheit wiegt, fährt ein Breakbeat hernieder, der keinen Stein auf dem anderen lässt. Besonders "Destroy everything" ragt diesbezüglich heraus, 303er-Acid-Lines inklusive. Auch "Dryland" weiß dank einer famos gesetzten dynamischen Steigerung und einer hinreißenden Melodie auf ganzer Linie zu überzeugen.
Dabei geht es nicht nur um den bloßen Effekt, sondern um etwas Tieferes, etwas Allgemeingültiges: Der Wille, Wahnsinn zu vertonen, endet meist in Peinlichkeiten. Wer ihn wirklich musikalisch greifbar machen möchte, muss zu leiden bereit sein. Und das ist wahrscheinlich auch der Kern der Musik von I Häxa: Bei aller Liebe zur Schönheit, bei aller Zerbrechlichkeit und Sanftmut, sind es doch die Ausbrüche, die aus einem sehr guten ein außergewöhliches Werk machen. Deutlich macht das vor allem das letzte Viertel des Albums, das mit "völlig irre" noch vorsichtig umschrieben ist: "Vessel" leitet das Verderben mit lang gehaltenen Akkorden ein, während Need-Menears Stimme vom Computer verschlungen wird. In "Blue angel" kippt die Stimmung dann ins Verzweifelte. Ein Strudel aus Schwermut zieht einen immer tiefer in den Abgrund, wo schließlich "Infernum" wartet, eine Hinrichtung in Songform. Es gibt kein Zurück mehr, nur noch Verdammnis. Die Hexe hat gewonnen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Underworld
- The well
- Dryland
- Destroy everything
- Infernum
Tracklist
- Underworld
- Inferno
- Last at the table
- Sapling
- Eight eyes
- We three
- The well
- Fog of war
- Army
- Dryland
- Oils & inks
- Destroy everything
- Vessel
- Blue angel
- Infernum
- Circle
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myx
2024-11-27 18:47:04
Gefällt mir recht gut, kommt aber leider nicht an die Erwartungen heran, die ich von der Rezension und den Referenzen her hatte. Dazu hat es mir neben einigen Highlights dann doch zu viel Leerlauf, was halt auch daran liegt, dass es mich nicht so ganz elektrisiert. Die Ingredienzien für ein besonderes Album sind aber auf jeden Fall vorhanden, von daher überrascht mich der grosse Anklang nicht.
The MACHINA of God
2024-11-27 13:38:18
Haha, "Hadean" auf 33 klingt sicher geil. Meshuggah goes Doom.
ToRNOuTLaW
2024-11-27 13:31:49
Naja, die erste, angefangen mit Hadean. Hab dann doch mal genauer nachgesehen und die "45" gefunden
The MACHINA of God
2024-11-27 13:26:20
@Tornoutlow:
Die schnelle, brutale Seite oder die eh schon etwas "epischere"?
ToRNOuTLaW
2024-11-27 13:25:34
Hatte damals The Ocean's Precambrian ignoranterweise erst auf 33 abgespielt und gedacht, "Wow ist das doomy!" :D
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- I Häxa - I Häxa (63 Beiträge / Letzter am 27.11.2024 - 18:47 Uhr)