Tyler, The Creator - Chromakopia

Columbia / Sony
VÖ: 28.10.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

In anderen Farben

"You are the light / It's not on you, it's in you / Don't you ever in your motherfucking life dim your light for nobody." Die ersten Worte auf Tyler, The Creators achtem Album "Chromakopia" sind nicht seine eigenen, sondern die seiner Mutter Bonita Smith. Diese übernimmt trotz geringerer Screentime die Fackel von DJ Drama, taucht immer wieder auf der Platte auf, um ihrem Sohn Ratschläge zu geben, für die dieser laut eigener Aussage mit nun 33 Jahren deutlich empfänglicher ist als früher. Nicht, dass Tyler Okonma irgendwelche Anstalten macht, sein Light zu dimmen: Der Opener "St. Chroma" marschiert mit Flöten, Chören und Flüster-Raps los, ehe die Synths Feuer fangen und Daniel Caesar mit Gospel-nahem Nachdruck von einem solchen singt. So, wie ein erneut kostümierter Okonma in den Visuals zum Album eine Sepia-Welt in Farbe hüllt, nutzt er seine musikalischen Skills, um Ängste und andere dunkle Ecken schillernd in Szene zu setzen. Dass dieser Prozess nicht geradlinig verläuft, überrascht wenig. Am Ende wird, so viel sei vorwegzunehmen, "I hope you find your way home" Okonma nicht in eine klar definierte Zukunft entlassen, sondern seine Desorientierung in den Vordergrund stellen: "I'm slippin', I'm slippin', I'm slippin', I'm slippin', I need a hand."

Klar definiert ist eh wenig beim Kalifornier, der sich vom provokanten Aggro-Rapper zum mit der eigenen Sexualität spielenden "Flower boy" entwickelt hat und zuletzt zwei Grammys in Folge nach Hause brachte. "The biggest out the city after Kenny, that's a fact now", gockelt er zu Recht in "Rah tah tah", das mit seiner hungrigen Energie gar an "Goblin"-Zeiten erinnert. Der Track gehört zu einer Reihe von Bangern, die die Selbstzweifel zugunsten von prahlendem Hedonismus hintenanstellen. "Sticky", ein generationenübergreifender Posse-Track mit Sexyy Red, GloRilla und Lil Wayne, wischt den Club einmal feucht durch, bevor Okonma im grandiosen "Thought I was dead" mit Schoolboy Q als Sparringspartner die One-Liner purzeln lässt: "I'ma crash shit out 'til my hair white / I got too much drive, I'm a terabyte." Das soulige "Take your mask off" dreht die Schlagzahl herunter, verteilt aber dennoch ein paar Backpfeifen an scheinheilige Gestalten – die sich als Teile von Okonmas Persönlichkeit entpuppen, wenn er am Ende explizit mit sich selbst ins Gericht geht: "Boy, you selfish as fuck, that's really why you scared of bein' a parent."

Das ästhetisierte Konzept soll schließlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Chromakopia" seinen Erschaffer ganz unmaskiert in den Fokus rückt. "Triple checkin' if I locked the door / I know every creak that's in the floor / Motherfucker, I am paranoid", detailliert "Noid" die Beklemmung vor den eigenen Fans, während abgehackte Hard-Rock-Riffs dazu passend ein Gefühl des Einengens erzeugen – es ist sicher kein Zufall, dass dieser die Ngozi Family samplende Song ein wenig wie Black Sabbath klingt. Auch "I killed you" schmeißt Karnevalsbläser und wilde Percussion zu einem Akustik-Horror zusammen, dem man nachts lieber nicht auf der Straße begegnet. Oft artikuliert Okonma die Ängste jedoch sanfter. Das von Teezo Touchdown unterstützte R'n'B-Wunder "Darling, I" drückt sich vor monogamen Bindungen und findet die Erfüllung woanders: "Nobody could fulfill me like this music shit does / So I'll be lonely with these Grammys when it's all said and done." Das reduzierte "Hey Jane" konzentriert sich ganz auf seine Lyrics und fingiert zwischen Okonma und einer ungewollt schwangeren Frau einen Dialog, der dem Thema ungemein komplex und sensibel begegnet.

Tyler, The Creator ist erwachsen geworden – das wird in letztgenanntem Stück ebenso deutlich wie in "Tomorrow", das erneut reflektiert, ob ein Kind Belastung oder Segen sein würde. Widersprüche durchziehen "Chromakopia" auf mehreren Ebenen. Ein unkreditierter Childish Gambino geistert eher gelangweilt durch das schläfrige "Judge Judy", doch Doechii bringt ihren Part im auf einem japanischen Jazz-Track fußenden "Balloon" fast zum Überkochen. Mama Smith weist ihren Sohn an, immer ein Kondom zu tragen, wünscht sich an anderer Stelle jedoch sehnsüchtig Enkelkinder. Ihren größten Auftritt hat sie im emotionalen Höhepunkt "Like him". Über einem dynamischen, Piano- und E-Gitarre-dominierten Instrumental vergleicht sich Okonma mit seinem Vater, ehe Smith eröffnet, für dessen Abwesenheit selbst verantwortlich zu sein. Ein Twist im Universum von Tyler, The Creator, der von Anfang an keinen Hehl aus den negativen Gefühlen gegenüber seinem vermeintlich egoistischen Erzeuger machte. Doch wer sein Innenleben entrümpelt, muss sich nicht wundern, wenn verstaute Erfahrungen plötzlich in anderen Farben erscheinen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • St. Chroma (feat. Daniel Caesar)
  • Darling, I (feat. Teezo Touchdown)
  • Thought I was dead (feat. Schoolboy Q & Santigold)
  • Like him (feat. Lola Young)

Tracklist

  1. St. Chroma (feat. Daniel Caesar)
  2. Rah tah tah
  3. Noid
  4. Darling, I (feat. Teezo Touchdown)
  5. Hey Jane
  6. I killed you
  7. Judge Judy
  8. Sticky (feat. GloRilla, Sexyy Red & Lil Wayne)
  9. Take your mask off (feat. Daniel Caesar & LaToiya Williams)
  10. Tomorrow
  11. Thought I was dead (feat. Schoolboy Q & Santigold)
  12. Like him (feat. Lola Young)
  13. Balloon (feat. Doechii)
  14. I hope you find your way home
Gesamtspielzeit: 52:54 min

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Lateralis84skleinerBruder

2024-11-22 06:59:45

Hab ihn auch erst ab Flower Boy so richtig schätzen gelernt. Seit IGOR aber ne sichere Bank bei mir, auch wenn ich Chromakopia noch nicht viele Durchläufe gegönnt habe.

Tyler ist jedenfalls einer der nach da ganz oben gehört, da er - natürlich nicht als Einziger - Rap aufs nächste Evolutionslevel hieven möchte.
Künstlerische Vision, Bowie Alter Ego Verkleidungspassion von Album zu Album und absolutes Talent an den Reglern gehen hier Hand in Hand

Felix H

2024-11-21 21:20:09

Ich bin auch bei der Rezi, dass ich mit dem Gesantwerk nicht so warm werde wie mit den letzten 3 Alben. Aber ja, "Thought I Was Dead" ist groß, Opener und "Sticky" ebenso.

The MACHINA of God

2024-11-21 21:04:09

"Thought i was dead" weiterhin fantastisch. Hält mich fast zu sehr ab, den Rest zu hören. Und bei euch so?

The MACHINA of God

2024-11-06 20:43:27

"Thouoght i was dead" ist so gut.

Armin

2024-11-06 20:07:46- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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