The Cure - Songs of a lost world

Lost / Polydor / Universal
VÖ: 01.11.2024
Unsere Bewertung: 9/10
9/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Vom Feuer der Gaben

"Absence makes the heart grow fonder", besagt ein englisches Sprichwort. Bei der gewaltigen Antizipation, die The Cures "Songs of a lost world" entgegenschlägt, spielt sicherlich die stolze Lücke von über 16 Jahren zwischen den Alben eine Rolle. Die direkten Vorgänger allein können es nicht sein, denn "The Cure" und "4:13 dream" sind in der Beliebtheitsskala bei den Fans mit etwas zeitlichem Abstand eher am unteren Ende zu finden. Und wirklich lange abwesend waren The Cure auch nicht. Neben Reissues tourten sie immer wieder oder bespielten Festivals – erst 2019 galt es, das vierte volle Jahrzehnt gebührend zu feiern. Robert Smith selbst sprach eigentlich schon direkt nach "4:13 dream" von einem Nachfolger, damals noch als "4:14 scream" in der Gerüchteküche, immer wieder blitzten über die Jahre Infos und Songkandidaten auf, nie wurde etwas Konkretes daraus. Bis The Cure auf ihrer 2022 begonnenen Tour mehrere neue Songs präsentierten. Düster und lang waren sie, zwischen niedergeschlagen und erhaben, ganz im Sinne des legendären "Disintegration". Und großartig. Es half natürlich, dass die Konzerte die Band auch abseits davon in grandioser Form zeigten, um die Erwartungen durch die Decke gehen zu lassen.

Nun ist "Songs of a lost world" trotz aller Widrigkeiten und Unkenrufe da. Acht schwarzgemalte Songs ergeben das 14. Studioalbum, welches wie versprochen in die Tiefen der Seele taucht, um sich dort einzunisten. "This is the end of every song that we sing / The fire burned out to ash and the stars grow dim with tears", lauten Smiths erste Zeilen auf dieser Platte, die im Opener "Alone" allerdings erst nach über drei Minuten ins Ohr dringen. Ein Kniff, den man von The Cure kennt: das Instrumental lange wirken lassen, um die Stimmung fest einzuprägen – wie ein Standbild, das sich zu lange auf dem Fernseher einbrannte. Das trug schon zur Faszination von "Disintegration" bei und funktioniert 35 Jahre später noch genauso. "Songs of a lost world" setzt häufiger als gewohnt das Klavier ein, oft nur als Akzent im Hintergrund. Im Gegensatz dazu lässt der zweite Song "And nothing is forever" das Piano sogar samt Streichern im Intro ganz prominent erklingen. Ob das Kitsch ist? Vielleicht. Wichtiger: Es ist wunderschön.

"Promise you'll be with me in the end / Say we'll be together with no regret." Wenn die Drums gemeinsam mit der E-Gitarre hereinschneien, ist das ein genauso wundervoller Moment wie das Abgleiten in die Coda, welche die Rückreise zum Ausgangspunkt des Stücks antritt. Auch "I can never say goodbye" trägt dick auf, ohne in Klischees abzurutschen, dafür hat Smith sein Songwriting viel zu fest im Griff. Als Erdung dient vor allem die Rhythmussektion, die im Gegensatz etwa zu "Disintegration" oder "Bloodflowers" nicht mit der Sounddecke verschmilzt, sondern hart durch die Nebelschwaden hindurchkracht. Das klingt in Verbindung mit den meist schwelgerischen Songs ungewohnt, teils nach Schweiß im Proberaum statt nach edler Dunkelheit, verleiht "Songs of a lost world" aber letztlich einen ganz eigenen, unterschwellig bissigen Charakter. Denn so viel Zeigefinger muss sein: The Cure machen hier ansonsten nichts Neues. Allein die Tracklist steht sinnbildlich dafür, lässt verwundern, dass die Briten all diese Titel noch nicht verwendet hatten. Es war aber auch noch nie egaler.

In der Albummitte werden die Songs flotter und teils auch aggressiver. "A fragile thing" setzt seine Lyrics als eine Art Dialog auf: "'Every time you kiss me I could cry', she said", lamentiert Smith und setzt zu klappriger Percussion im Refrain selbst nach: "Nothing you can do but sing / This love is a fragile thing." Neben diesem Stück ist das interessant betitelte "Drone:Nodrone" der Moment, in dem die Platte am meisten nach vorne geht, im Geiste von Störenfrieden mit Widerhaken wie "Cut" oder "The baby screams". Die Poppigkeit weicht einer biestigen Aggression, die vor allem der Killer-Bassline entspringt. Feedback grätscht immer wieder von der Seite rein, will die Band aus den Fugen bringen, während Smith durch den Lärm keift: "The answers that I have are not the answers that you want!" Zwischen diesen beiden Tempokrachern dröhnt der nicht umsonst "Warsong" benannte Track unbarmherzig und schwerfällig über eine gequälte Gitarre und diese Synth-Tupfer, die man so ähnlich auch mal in "Lullaby" im ganz anderen Kontext gehört hat. Die Intensität lässt zu keinem Zeitpunkt nach.

Auch "All I ever am" gewinnt mit seinem Basslauf schon die Herzen, die ihm spätestens beim energischen Refrain ohnehin zugeflogen wären. Und doch wartet erst danach das Kronjuwel namens "Endsong". Welcher erst einmal stolze sechseinhalb Minuten damit verbringt, seinen unwiderstehlichen Groove in purer, grauer Schönheit einzuschleifen, zu intensivieren, Schicht für Schicht aufzutragen. Erst für die finalen Momente meldet sich Smith eindringlich zu Wort: "And wondering what became of that boy / And the world he called his own / And I'm outside in the dark / Wondering how I got so old." Er ist nun 65 Jahre alt und wirkt auf "Songs of a lost world" trotz neu erweckter Weltmüdigkeit in Ton und Text frischer und vitaler denn je. Dieser Diskographie ein weiteres Highlight hinzuzufügen, ist angesichts der zahlreichen Großtaten alles andere als einfach, doch diese acht Stücke stehen felsenfest als grau-schwarzer Monolith zusammen und können es mit vielen Bandklassikern aufnehmen. Schließlich wird die Platte dann rund, wenn sie den thematischen Faden vom Beginn wieder aufnimmt: "Left alone with nothing at the end of every song / Left alone with nothing / Nothing." Was nicht weniger stimmen könnte. The Cure geben so viel – immer noch und jetzt wieder im Besonderen.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Alone
  • And nothing is forever
  • Endsong

Tracklist

  1. Alone
  2. And nothing is forever
  3. A fragile thing
  4. Warsong
  5. Drone:Nodrone
  6. I can never say goodbye
  7. All I ever am
  8. Endsong
Gesamtspielzeit: 49:16 min

Im Forum kommentieren

Hierkannmanparken

2024-12-05 10:53:52

"Da kommt es meistens eher vor Baustellen zur Kompression"

Das ist dann der Industrial Mix ;)

VelvetCell

2024-12-05 10:02:29

Und zu den Top 0.5%-Hörern von The Cure

Genau wie ich. :)
The Cure dann auch erwartungsgemäß mein Top-Künstler dieses Jahr.

Herr

2024-12-05 08:59:48

Danke, lieber Herr fakeboy! Jetzt hab ich den Ablauf ganz verstanden. Und kann mal beim Musikhören bewusster drauf achten.

Ich höre ja, beruflich bedingt, viel beim Autofahren. Da kommt es meistens eher vor Baustellen zur Kompression, auf Kosten der Dynamik, insbesondere wenn LKW‘s von rechts plötzlich zur Beschneidung ansetzen. Da denkt man dann über den Fahrer: „na Du bist mir ja ein Master“….

fakeboy

2024-12-05 07:49:44

--> damit sollte auch klar sein, was beim Mastering schieflaufen kann - bspw. kann der Bassbereich zu sehr beschnitten werden, die Höhen können zu schrill oder zu stumpf werden, die Lautstärke kann zu hoch werden (clipping = Verzerrungen) oder die Dynamik zu sehr komprimiert (Kompression = leise Passagen werden lauter und laute Passagen werden leiser)

fakeboy

2024-12-05 07:34:10

@herr: also, es ist so: du nimmst Instrumente auf (=recording), dann stellst du sie zueinander in ein passendes Verhältnis, passt Lautstärken an, platzierst sie im Stereospektrum, fügst noch Effekte hinzu (=mixing) und zum Schluss bearbeitst du noch das Klangbild (schneidest bspw. störende Wummerbässe weg oder betonst etwas die Höhen) und Lautstärke des gemischten Songs an (=mastering)

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