High Vis - Guided tour
Dais / CargoVÖ: 18.10.2024
Wo ist der Bus?
High Vis sind eine grundehrliche Band. Eine in Bezug auf redlich ihren Job verrichtende, dabei jedoch meist wacker langweilige Musiker stets ungern gelesene Phrase. Auf Graham Sayle und Kollegen trifft sie wiederum zu. Sowohl in ihren verrauschten, herzlich rauen Hymnen mit kehlig angeschmirgeltem Organ, welche die Aufrichtigkeit der Arbeiterklasse rühmen oder aus dem Leben geschiedenen Kumpels eine letzte Träne nachweinen, als auch im Titel ihres 2022er-Longplayers "Blending". Und dieser vermischte in der Tat Post-Punk der neuen Generation mit der Dream-Pop- und Shoegaze-Seite des Brit-Rock und stand Gruppen wie Ride zuweilen ähnlich nahe wie Idles oder Shame. Oder auch den Stone Roses, wie das Titelstück zu Beginn dieses dritten Albums mit versonnen perlender "Waterfall"-Gitarre unter Beweis stellt. Ein initiales Hach.
Aber auch ein begrenztes, denn High Vis blenden den Track zum Schluss recht unvermittelt aus. Einerseits schade, andererseits muss das wohl so sein, wenn das Londoner Quintett mit Vorliebe die Getriebenheit des Individuums im heutigen United Kingdom verhandelt. Kaum ist man da, muss man schon wieder los. Zum Sozialamt, zum zweiten von drei Nebenjobs oder in die Kneipe zu den Jungs, um sich die deprimierende Realität unschön zu trinken. Ach, Sie waren schon länger nicht mehr in der Hölle? Dann mitkommen auf "Guided tour" mit High Vis. Die führt nämlich in ähnliche urbane Brennpunkte mit wenig sozialer Prognose wie auf dem Cover, und das oft im Schweinsgalopp. "Drop me out" ruft man dabei trotzdem nicht – warum auch, wenn der gleichnamige Punkrocker mit dem fidelen Riffing einen so einladend von der Seite anblafft?
Für Sayle die leichteste Übung. Vermutlich, weil er und seine Band allen Grund dazu haben und unwirtliche Zustände in maßvoll anhebende, dann aber wütend aufbegehrende Dreieinhalbminüter wie "Fill the gap" oder "Worth the wait" packen. Nicht ohne Fatalismus – unschwer zu erkennen an Zeilen wie "Something's always missing / I just can't stand this friction / And no one's missing me". Bei Fehlfarben hieß das vor rund 45 Jahren "Was ich haben will, das krieg ich nicht / Und was ich haben kann, das gefällt mir nicht", und viel geändert hat sich seitdem nicht. Allenfalls die Namen der Behörden, bei denen man teils entwürdigende Prozeduren über sich ergehen lassen muss, um die "disability living allowance" zu erhalten, eine Leistung irgendwo zwischen Berufsunfähigkeitsrente und Arbeitslosengeld. Das tosende "Mob DLA" poltert auch schon ganz angestochen.
"Somewhere in between our hope and fate / Nothing ever comes to those who wait", klagt Sayle dazu lautstark. Doch wo ist der Bus mit den Leuten, die das interessiert? Bleibt wohl nur derjenige, in dem High Vis auf dunkelgraue Stadtrundfahrt gehen. In ramponiertem Zustand, aber mit jeder Menge Power unter der Haube. Nächster Halt: ein runtergerockter Club, wo "Mind's a lie" läuft, der schmatzige, mit verhuschten elektronischen Vocal-Details gepimpte Quasi-Dance-Track dieses Albums, ehe im kernigen Closer "Gone forever" noch einmal rasant der Punk auftrumpft. Besser oder gar gelöst ist danach nichts – aber umso klarer, dass die Zündschnur der gesellschaftlich Abgehängten nicht nur in Großbritannien immer kürzer wird. Denn auch vermeintlich faule Schnecken merken, wenn man am Verhungern ist.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Drop me out
- Mob DLA
- Mind's a lie
- Gone forever
Tracklist
- Guided tour
- Drop me out
- Worth the wait
- Feeling bless
- Fill the gap
- Farringdon
- Mob DLA
- Untethered
- Deserve it
- Mind's a lie
- Gone forever
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fuzzmyass
2025-11-04 17:18:38
Muss ich mal wieder auflegen, schon länger nicht gehört.... fands aber zuletzt super, wenn auch nicht so stark wie den Vorgänger
fakeboy
2025-11-04 17:17:32
Das Album ist nicht wirklich gut gealtert. Ich mag High Vis immer noch, greife aber wenn ich Bock drauf habe eher zu älteren Einzelsongs wie Trauma Bonds oder Walking Wires. Guided Tour leg ich selten bis nie auf.
fakeboy
2024-12-09 11:29:25
Wir können es uns halt leisten ;-)
Glufke
2024-12-09 06:56:53
Zu den Preisen: High Vis spielen im Februar zusammen mit Narrow Head in Nimwegen und das kostet da 27 Euro :D da sind die Preise in der Schweiz ja wirklich skandalös dagegen!
saihttam
2024-11-29 22:15:34
Mir hats auch sehr gut gefallen in Wiesbaden. Auch vorne im Publikum. Viel Bewegung, ohne dass es zu aggressiv wurde.
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