Blood Incantation - Absolute elsewhere
Century Media / SonyVÖ: 04.10.2024
Reisefreiheit
Eigenwerbung und Promotexte können mitunter irreführend sein, mitunter gar toxisch. Gerne in blumiger Sprache verfasst, besteht die Königsklasse oftmals darin, eher mediokre Klänge zum nächsten Grammy-Anwärter zu erklären. Beliebte Formulierung: "Setzt sich über jegliche Genre-Grenzen hinweg." Was leider viel zu oft bedeutet, dass sich die jeweilige Band nicht entscheiden kann und ihre wie auch immer gearteten Ideen zu einem kruden Brei zusammenrührt. Und dann gibt es Bands, die genau das wirklich tun. Für die solche Grenzen nicht existieren, weil sie sich einfach mal ausprobieren. Denn irgendwann einmal hat sich eine solche Band doch zusammengefunden, um ihre Musik zu machen – das, was ihnen gefällt, nicht das, was der Markt fordert, oder? Wenn man diese Haltung durchzieht, dann kann man wie die nominell einmal als Death-Metal-Band angetretenen Blood Incantation dann auch einmal ein reines Ambient-Album aufnehmen. So geschehen 2022 mit der EP "Timewave zero".
Kunst will aber auch immer fordern. Manchmal auch überfordern, reizen, Extreme ausspielen. Wenn die ersten Durchläufe von "Absolute elsewhere" absolviert sind, dem dritten Album des 2011 gegründeten Quartetts aus Denver, dann können bei flüchtigem Hören die Fragezeichen so groß sein, dass die Platte am Ende vorbei läuft. Böser Fehler. Denn eigentlich müssten schon zwei Umstände Musik-Nerds aufhorchen lassen. Erstens – statt im mittlerweile üblichen Homestudio wurde "Absolute elsewhere" in den legendären Hansa-Studios in Berlin produziert. Zweitens – niemand geringerer als Thorsten Quaeschning, Nachfolger des verstorbenen Edgar Froese als Chef der nicht minder legendären Tangerine Dream, gab sich für einen Gastbeitrag am Mellotron die Ehre. Death Metal und Tangerine Dream in einem Zusammenhang? Wie kann das denn funktionieren? Und wie das funktioniert.
Versuchen wir doch einmal ein wenig Struktur in vermeintlich Unvereinbares zu bekommen. Es hilft dabei nur minimal, dass die beiden Songs, "The stargate" und "The message", für die CD- und Digital-Releases in jeweils drei Teile, hier "Tablets" genannt, aufgetrennt werden – der irrwitzige Ritt durch die Stile bleibt der gleiche. Rasender Death Metal eröffnet "The stargate (Tablet I)", doch schon nach einer Strophe wird der Sturz in diesen Strudel durch einen Spacerock-Teppich abgefangen. Der kurz darauf die Basis für eine Sequenz bildet, die Richard Wright und David Gilmour zu Ehren gereicht hätte, wäre da nicht plötzlich der brutalstmögliche Rücksprung in knallharten Death Metal. Opeth war eine der ersten Bands, die Death Metal und Prog so kunstvoll miteinander verwoben haben, doch Blood Incantation stehen dem in nichts nach. Der zweite Teil zitiert dann zunächst kurz Ayreon zu Zeiten von "The universal migrator", bis sich die Amerikaner respektvoll zurückziehen und Quaeschning die Bühne für seine Soundscapes überlassen. Doch schon gegen Ende dieses Teils türmt sich die nächste Riffwand auf, um dann im dritten Teil vollends zu eskalieren.
Gut, wer bis hierhin folgen konnte. Denn als Belohnung wartet "The message", und das ist nichts weiter als Musik gewordener Irrsinn. Hier sitzen die Übergänge zwischen den einzelnen Abschnitten noch genauer, wirken abrupt, funktionieren jedoch als perfekte Zäsur. Auch hier ist es der zweite Teil, der mit unfassbar schönen ruhigen Passagen begeistert, darüber fragilen Klargesang legt und so Pink Floyd in die Gegenwart holt. Während bei "The stargate" die ein oder andere Sequenz einen Tick zu lang gezogen wird, passt hier einfach alles perfekt ineinander. Und wenn hier Opeth erwähnt werden: Ja, Mikael Åkerfeldt & Co. frönen eher dem Siebziger-Prog als diesen Soundteppichen, doch auch die Schweden müssten eine Sternstunde erwischen, um dieser Musikalität, die "The message" in allen drei Teilen zeigt, auch nur im Ansatz Herr zu werden. Denn zum Abschluss regiert der blanke Wahnsinn, growlt Frontmann Paul Riedl im Stil von George "Corpsegrinder" Fisher über fingermordende Gitarrenläufe, lässt sich zum wiederholten Mal in eine kuschelige Spacerock-Decke wickeln, nur um sich daraus wieder umgehend zu befreien. Wenn es hier einen Sieger gibt, dann die Musik. Die kalten emotionalen Abgründe des Death Metal, herausragende technische Fähigkeiten und meisterhaftes Songwriting bilden dieses Gesamtkunstwerk, von dem noch lange die Rede sein wird.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The stargate (Tablet II)
- The message (Tablet II)
Tracklist
- The stargate (Tablet I)
- The stargate (Tablet II)The stargate (Tablet III)
- The message (Tablet I)
- The message (Tablet II)
- The message (Tablet III)
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Tearz
2024-10-23 22:06:25
Schönes Album, mir manchmal etwas zu gezwungen aber auch hier überwiegt bei Weitem die Klasse. Wenns eine Zahl sein soll geht es so in Richtung 8,5. Kann man anknüpfen wenn man die Klassiker von Anfang der 90er und ein paar der neuzeitlichen etwas musikalischeren Kapellen wie Obscura mag. Ich sammel die LP ein.
Unangemeldeter
2024-10-23 19:12:34
Genau das wollte ich mit meinem Post ja sagen, aber das scheint missverständlich gewesen zu sein. ;)
boneless
2024-10-23 18:14:38
Tour im April 2025!
Siehe Post vom 14.10. ;)
ich mag extremere Metal-Richtungen eigentlich nur von Bands, die das mit anderen Genres vermischen (frühe Deafhaven, dieses ganze Sludge-Gedöns um Neurosis, ISIS, Old Man Gloom usw., auch der metallige Hardcore von Knocked Loose macht mir Spaß).
Was ja aktuell auch auf Blood Incantation zutrifft. In diesem Sinne... freut mich natürlich, dass einigen dadurch die Musikrichtung schmackhaft gemacht wird.
VelvetCell
2024-10-23 14:51:32
Das Logo der Band erinnert mich an ein Cartoon, das ich ziemlich großartig finde:
https://www.aristocraziawebzine.com/wp-content/uploads/2019/03/Belzebubs-Dried-Vomit.jpg
VelvetCell
2024-10-23 13:36:16
Tour im April 2025!
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