Garish - Absender auf Achse
Tapete / IndigoVÖ: 09.02.2004
Kreuzfahrt
Es kommt selten vor, daß sich die Stimmung einer Platte - wenn sie nicht gerade "St. Anger" heißt - alleine schon aufgrund des Namens vorhersagen läßt. Umso schöner ist es, wenn ein Albumtitel die Atmosphäre einer Platte dann auch tatsächlich so perfekt beschreibt, wie im Falle von Garishs "Absender auf Achse". Denn die dritte Scheibe der Österreicher dreht sich in erster Linie um das Aufbrechen, das Lossegeln ins offene Meer ohne das Ziel vor den Augen zu haben. Wo sich der Zweitling "Wo die Nacht erzählt vom Tag" noch im wohnzimmerkleinen Band-Kosmos scheu um die eigene Achse drehte, ist der Garish-Vogel nun flügge geworden.
Es war vorauszusehen: "Mein Weg führt mich weit fort von hier / Ich werd gehn / ich seh", skandierte Sänger Thomas Jarmer damals in "Zum Mond". Treffend - und gleichzeitig symbolisch für die Entwicklung der Band, die in ihrer Heimat abgefeiert und auf Tour durch halb Europa geschickt wurde. Dem folgte schließlich ein Plattenvertrag mit dem kleinen und feinen Tapete-Label - ein geglückter Stapellauf! Nach dem Durchbruch nun also der Aufbruch - sozusagen die Jungfernfahrt im Anschluss an die Bootstaufe. "Leinen los und Ruder hart Backbord", lautet das Motto. "Auf in den Wind / Der für mich Richtung bestimmt wohin / Gestern noch gelacht / Und heute mich vorsätzlich abkömmlich gemacht", heißt es im entspannten Opener "Teer und Federn".
Garish machen dem Hörer das Wiedersehen leicht, denn "Absender auf Achse" verströmt in seiner atmosphärischen Dichte die gleiche Faszination, die schon den Vorgänger auszeichnete: Pop und Poesie verschmelzen zu facettenreichen Songgemälden, die zwar bisweilen immer noch etwas verschroben, aber niemals unhörbar oder uninspiriert klingen. Im Gegenteil. Das Quintett hat sich neben neuem Selbstbewußtein auch Eingängigkeit auf die Segel geschrieben und musiziert griffiger als je zuvor. Im Gegensatz zu den noisigen Ausbrüchen und Experimenten, die den Vorgänger gelegentlich zum Kentern brachten, wächst hier zusammen, was zusammengehört: große Gefühle und große Melodien. Trotz der teils üppigen Streicher- und Bläser-Arrangements bleiben die fragilen Songs auf Kurs und schmiegen sich federleicht ans Ohr. Das führt dazu, daß Garish mit dem hübschen Tom-Liwa-Duett "Noch auf See" sogar einen richtigen Hit im Repertoire haben, der sich in jedem Indie-Club problemlos zwischen Tocotronic und den Sportfreunden Stiller behaupten könnte.
Auch wenn die fünf Österreicher in ihrer Harmoniesucht manchmal gefährlich nah an der Kitschgrenze entlang schippern, erleiden sie über Albumlänge hinweg keinen Schiffbruch - höchstens Stimmbruch. Denn, wenn sich der stets etwas entrückt singende Thomas Jarmer mit bildgewaltiger Lyrik voller Inbrunst in unbekannte Falsetto-Höhen schwingt, gerät die Melodramatik fast zur Parodie ihrer selbst. Das klingt im streicherüberladenen Finale "Von 10 abwärts" befremdlich, löst im traurigen "Mit Augenmass" allerdings wahre Tränenbäche aus. Aber auch wenn sich am exhaltierten Gesang die Geister scheiden, steht eines fest: Garish bewegen, sie lassen keinen kalt. Und das ist nur eines der Komplimente, die sich Garish für dieses Album verdient haben. Volle Fahrt voraus.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Noch auf See
- Einmal aus dem Nest gefallen findet man nicht mehr
- Später ist egal
- Mit Augenmass
Tracklist
- Teer und Federn
- Noch auf See
- Einmal aus dem Nest gefallen findet man nicht mehr
- Daumen in die Faust
- Unter Bäumen - Regen
- 2 mal so schwer
- Später ist egal
- Die Maschine fährt an
- Mit Augenmass
- Alles nur Idee
- Ich ahne was
- Von 10 abwärts
Referenzen
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