Pharmakon - Maggot mass

Sacred Bones / Cargo
VÖ: 04.10.2024
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Stirb und werde

Sterben und Vergehen gehören dazu in einem Ökosystem. Margaret Chardiet macht's vor, präsentiert sich im Artwork von "Maggot mass" ganz im Einklang mit der Natur und wird eins mit Waldboden und niederen Lebensformen. Zu denen leider auch der Mensch gehört, betrachtet man seinen respektlosen und zerstörerischen Umgang mit dem Planeten. Biodiversität ist nun mal nicht, wenn es beim Discounter zwei Sorten nachhaltig angebauten Kaffee gibt. Und genauso wenig muss es sich unbedingt um Musik handeln, wenn die New Yorkerin ihre auf höchste Lärmstufe gestellten Maschinen ausfährt. Eher um Inszenierungen von Körper, Geist und deren Versagen – mit den extremsten Mitteln industrieller Power Electronics. Was auf dem wunschgemäß entsetzlichen "Devour" 2019 so weit ging, dass sich die Pharmakon-Frau auf dem Cover symbolisch selbst verzehrte.

Vielleicht hat Chardiet auf ihrem fünften Album ein Einsehen mit allen gepeinigten Hörer*innen? Nicht wirklich. Denn warum sollte sie die bittere Erkenntnis, dass die Erde mit dem Störenfried Homo Sapiens als Düngemittel auf lange Sicht besser dran wäre denn mit ihm als Bewohner, per weicheiernden Zugeständnissen im Sound relativieren? Und doch könnte man mit ein wenig Fantasie sagen: Im Chardiet-Universum ist "Maggot mass" Pop. Allerdings nur in dem Sinne, in dem es Pop ist, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur eigenen Beerdigung zu fahren, obwohl man eigentlich den SUV nehmen wollte. Dennoch erinnert der von allerlei Getier umsummte Auftakt "Wither and warp" mit gediegenem Spannungsbogen und erkennbaren Vocals an "Crawling on bruised knees" – den Pharmakon-Track, dem man bisher am ehesten so etwas wie Eingängigkeit zubilligen konnte.

Was sich zunächst noch als leidlich, nun ja, charmanter Rückgriff auf das Debüt "Abandon" hören lässt, hat in dieser halben Stunde Methode. Wenn auch eine donnernde, brutzelnde und zürnende, die keinerlei Spaß versteht. Die Drums des dynamisch zuckenden "Methanal doll" kumpeln raumgreifend mit den öltonnigsten Zeiten des britischen Industrial-Kollektivs Test Dept., und das vergleichbar rabiat auf die digitale Steintrommel hauende "Splendid isolation" schraubt sich mit zunehmender Spieldauer in einen immer destruktiveren Rausch, bis Stimme, elektronisches Gecrunche und rhythmische Urgewalt das Stück zusammen mit allem Krach der Welt in die Luft jagen. Trotzdem steckt in Chardiets Stimme zusehends mehr wütende Emotion als in dem geisterhaften Distorto-Organ, das sie auf früheren Platten favorisierte. Das Sterben ist nun mal ästhetisch blöd.

Man sollte nämlich nicht etwa annehmen, die 34-Jährige würde auf "Maggot mass" das Dasein geringschätzen. Sie hämmert lediglich allen, die ihr zuhören mögen, die Notwendigkeit ein, das eigene ekelhafte Benehmen gegenüber anderen Lebensformen zu überdenken, bevor sich der Globus kurz am Allerwertesten kratzt und die Zivilisation Geschichte ist. Und dass es jede*r selbst in der Hand hat, ob der monströse Closer "Oiled animals" lautstarker Abgesang ist oder vielleicht doch der Soundtrack zum Umdenken sein könnte. Und wenn der Mensch es doch verkackt? Dann gibt es immer noch Würmer und Maden, Fliegen und Schaben, die täglich demonstrieren, dass sie Freude daran haben. Die sollten wir ebenso haben – zumindest an einem fantastischen Album, das Pharmakon endgültig auf eine höhere Stufe verstörender Klangerzeugung hebt.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Methanal doll
  • Splendid isolation

Tracklist

  1. Wither and warp
  2. Methanal doll
  3. Buyer's remorse
  4. Splendid isolation
  5. Oiled animals
Gesamtspielzeit: 31:54 min

Im Forum kommentieren

Randwer

2024-10-17 19:00:35

Mir gefällt es auch.

Armin

2024-10-16 20:07:53- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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