Isolation Berlin - Electronic babies

Vertigo / Universal
VÖ: 11.10.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Kopf in der Cloud

"Electronic babies"? Verteufeln Isolation Berlin jetzt die modernen Zeiten und den auf 60 Sekunden zusammengeschrumpften Musikkonsum auf TikTok und Co.? Warum plötzlich ein englischsprachiger Titel? Manches wird manchmal eben anders, vieles bleibt hingegen ständig gleich. Es gäbe "Nichts un-digitaleres (sic!) als eine Band", schreibt Jan Müller von Tocotronic sogar in der Künstler-Bio, und wir verkneifen uns einmal ungelenke Bezüge auf den Titel von deren altehrwürdigem Debüt. "Wir sind auf Draht / Ständig unter Strom", keift Tobias Bamborschke dennoch im Closer und Titeltrack, während drumherum windschiefer Post-Punk tobt. Mehr denn je üben Isolation Berlin sich auf ihrem vierten Album in abgeklärter Nostalgie. Bereits der herausragende Vorbote "Verliebt in dieses Lied" hatte verregnete Kindheitsnachmittage beschworen, die unschuldige Wahrnehmung von Kunst vor der Entzauberung durch Erwachsenwerden und Informationsüberfluss thematisiert und dabei nicht mal vergessen, ein schöner, keinesfalls bierernster Popsong zu sein. Sind die restlichen Babies diesem Geniestreich gewachsen?

"Echt sein" ist standesgemäße Ankündigung und Mission Statement, so wie es sich für wiederkehrende Rockbands gehört. Bamborschke steckt den inhaltlichen Rahmen ab und liefert die ironische Brechung gleich mit: "Ich mache immer alles falsch." Ein Lied zum schöneren Scheitern und den harten Ansprüchen an das Künstlerdasein, fremden wie eigenen. Dabei geht es doch bloß immer nur um Authentizität – Fehler dürfen gemacht werden. Da kann das sehr direkte "Liebe tut gut" sein schwermütiges Chanson in gewohnten Bahnen ausbreiten, man hört weiterhin gern zu und leidet mit. Und der Refrain von "Der Trinker", ach, eigentlich der gesamte Song – wenn man die süffisanten Beobachtungen zum Drogenkonsum aller Mit-Kneipengäste einmal abzieht – hat auf charmante Weise eine Menge von Die Toten Hosen. Mit stoischem Drumcomputer, Pfeifeinlage und doof-cleverem Text zeigt sich "Deine Mutter schmiert die Butter" vielschichtiger, auch wenn sich der Titel erst mal wenig so liest. "Ich hab' mich schick gemacht / Auf Verdacht." Milieustudie hin oder her, am Ende entscheiden bei uns allen doch nur Pheromone und nackte Tatsachen.

Mit dem krautrockig durch die Nacht torkelnden "Ratte" eröffnen Isolation Berlin die obligatorische Handvoll Post-Punker. "Es gibt Millionen von uns, doch wir fühlen uns so allein" – ja, passt. Dann kommt auch schon der erste semi-ironische Beitrag zum zerstörerischen Rockstar-Dasein: "Drugs" gesellt sich zu "Kicks" oder "Wahn" und reiht sich anstandslos ein. Bamborschke und Band werden eben nur noch von oberflächlichem Sex und maximal halblegalen Substanzen zusammengehalten, sonst fielen sie auseinander. Alles wie gehabt. Auch "Maschine" untermauert mit Fuzz-Bass und, nun ja, sturem Maschinen-Beat die altbekannte These: The show must go on, das Produkt darf nicht sterben. Die Band bewegt sich hier auf altbekanntem Terrain und manövriert es gewohnt gut – widerborstig genug, um nicht zu langweilen, dabei nicht oberschlau oder überkandidelt.

Und während man sich als Nicht-Hauptstädter*in noch fragt, was ein schwedisches Energieunternehmen mit einer sentimentalen Ballade zu tun hat, erwischt man sich dabei, wie "Hinterm Vattenfallmond" wundervoll angenehm brennt. "Wir taten uns so gut und dabei schrecklich weh." Sven Regener von den Hamburger Rotwein-Chansonniers Element Of Crime spielt hier traurige Trompete – es kommt zusammen, was zusammengehört. Säuferromantik und Akustikgitarre sind sowieso Dauerbrenner, ob nun "In dem Park auf der Bank", am Schlachtensee oder im Aquarium. Es bleibt festzuhalten: "Electronic babies" ist unterm Strich die bisher lockerste und auch augenzwinkerndste Platte von Isolation Berlin. Dabei glänzt sie mehr durch ihre Selbstreferenzialität und bildhaftes Storytelling als durch songschreiberische Innovation. "Und wir fragen den Screen / Wen sollen wir lieben?" Die üblichen Verdächtigen, in üblicher Qualität.

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Echt sein
  • Verliebt in dieses Lied
  • Deine Mutter schmiert die Butter
  • Hinterm Vattenfallmond

Tracklist

  1. Echt sein
  2. Liebe tut gut
  3. Ratte
  4. Verliebt in dieses Lied
  5. Drugs
  6. Deine Mutter schmiert die Butter
  7. Der Trinker
  8. Maschine
  9. Hinterm Vattenfallmond
  10. In dem Park auf der Bank
  11. Electronic babies
Gesamtspielzeit: 43:06 min

Im Forum kommentieren

MopedTobias (Marvin)

2024-10-27 09:24:34

Richtig gut!

Armin

2024-10-16 20:06:45- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Hier stand Ihre Werbung

2024-10-12 05:15:49

Witzig, ich finde viele der rockigen Stücke richtig gut. Beim ersten Hören ist auf jeden Fall die Ratte (genauen Titel gerade vergessen) hängen geblieben.
Das Energische passt auch gut zu ihrer Liveperformance, die ich durchaus druckvoll war.

Kiezgrün

2024-10-11 09:46:02

Ja, das Album ist auch wieder mehr meins. Mit dem letzten konnte ich nichts anfangen.

Die rockigen Songs sind auf dem neuen immer noch nicht meins, aber es gibt ja genug andere.

The Libertine

2024-10-11 09:38:18

Album hört sich aufs Erste Ohr sehr gut an. Ist wieder poppiger und erinnert ein wenig an die Eps vor dem Debüt und auch an das Debüt selbst. Das letzte Album war trotz sehr starker Einzelsongs ja sehr depressiv und auch sperrig, hier öffnen sie den Vorhang wieder ein wenig. Highlights: "Echt sein", "Liebe tut gut", "Der Trinker", "Hinterm Vattenfallmond", "Die Mutter schmiert die Butter". Finde es toll, eine 8 ist das bestimmt.

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