Alan Sparhawk - White roses, my God

Sub Pop / Cargo
VÖ: 27.09.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Liebeslied an die Zukunft

"Mim loved roses, and sometimes I think she's God." Eine berührende Erklärung für den Titel des zweiten Albums von Low-Frontmann Alan Sparhawk – sein erstes unter eigenem Namen, seit Ehefrau und Mitmusikerin Mimi Parker im Herbst 2022 mit nur 55 Jahren an Krebs starb. Es lag auf der Hand, dass Parkers Tod gleichbedeutend mit dem Ende von Low sein würde, denn die einzigartige Band aus Duluth, für die Begriffe wie Slowcore, Indie oder Post-Rock stets zu kurz griffen, lebte vom Zusammenspiel des Paares, das sich in seinen Songs sowohl beharkte als auch umschmiegte. Die öffentliche Anteilnahme ob des zutiefst traurigen menschlichen Verlustes war so groß, dass Sparhawk auch eine Platte mit dem "Double negative" manchmal zugeschriebenen Baustellenlärm hätte aufnehmen können, ohne dass ihm irgendjemand ernstlich böse gewesen wäre.

Moment: Sparhawks zweites Album? Richtig, denn bereits 2006 veröffentlichte er weitgehend unbemerkt das instrumentale Improvisations-Ding "Solo guitar". Warum das erwähnenswert ist? Weil auf "White roses, my God" keine Gitarre vorkommt – außer im Stück "Brother", wo der Mann aus Minnesota ein stoisches, beinahe zorniges Riff in die Saiten hackt. Und wenn hier etwas entfernt an Low erinnert, dann dieser famose, Haken schlagende Monster-Track, der mit etwas gutem Willen auch auf dem minimalistischen und dennoch glasharten Meisterwerk "Drums and guns" gut aufgehoben gewesen wäre. Ohne die per Autotune-Effekt maximal entstellte Stimme, versteht sich. Umso reizender, dass sich die gemeinsame Tochter Hollis gesanglich dazugesellt – vielleicht die musikalisch cleverste Art, Parkers Andenken in Ehren zu halten und trotzdem nicht auf der Stelle zu treten.

Ohnehin schwebt der Geist der früheren Schlagzeugerin über diesem Album wie eine Gewitterwolke, die jeden Moment in schwerste Tränen auszubrechen droht. Dass es nicht so weit kommt, verdankt "White roses, my God" den häufig erstaunlich beschwingten Songs, die man sich nicht von den extrem verfremdeten und oft kaum verständlichen Vocals vermiesen lassen sollte. Was auch für Menschen gilt, die Hyperpop, Cloud Rap oder Chers "Believe" allenfalls mit der Kneifzange anfassen. Sie würden sonst "Get still" verpassen, den warmherzigen analogelektronischen Opener aus den Hirnwindungen eines Roboters mit kaputtem Emotions-Chip. Oder den dezent sinnfreien Stampfer "I made this beat", in dem sich Sparhawks androides Organ ein größeres Loch in den Bauch freut als ein Junge unterm Weihnachtsbaum. Das hat Charme – und einen dicken Bass.

Ironie des Ganzen: Ausgerechnet Sparhawks Kinder schleppten die zischelnden und klöppelnden Gerätschaften an, dank derer diese Platte gleichzeitig distanziert und tröstlich wirkt. "Can U hear" lässt die Synths dynamisch überschwappen und holt fette Percussions raus, die Vignette "Heaven" sendet ein Stoßgebet, das verspielte "Feel something" kribbelt und bitzelt wie ein eingeschlafener Fuß, der allmählich wieder zum Leben erwacht. Schlussendlich tritt Sparhawk mit diesem Paradigmenwechsel zu entkerntem Elektro-Pop in die Fußstapfen eines noch größeren US-Gitarrenmusikers: Neil Young, dessen massiver Vocoder-Einsatz auf dem 1983er-Album "Trans" die Kommunikation mit seinem an Zerebralparese erkrankten Sohn widerspiegelte. Es war Youngs Liebeslied an die Zukunft – und in die blickt auch "White roses, my God" zu Recht mit Optimismus.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Get still
  • Can U hear
  • Brother
  • Feel something

Tracklist

  1. Get still
  2. I made this beat
  3. Not the 1
  4. Can U hear
  5. Heaven
  6. Brother
  7. Black water
  8. Feel something
  9. Station
  10. Somebody else's room
  11. Project 4 ever
Gesamtspielzeit: 34:54 min

Im Forum kommentieren

Armin

2024-10-07 20:14:00- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Lateralis84skleinerBruder

2024-10-02 13:04:30

Jetzt weiß ich endlich, woran mich der Mittelteil von Brother erinnert.
An James Blake's Debut, speziell "I never learnt to share"

Felix H

2024-10-01 21:55:10

Schönes Interview bei Stereogum

The MACHINA of God

2024-09-30 16:45:17

interessant,erinnert mich ein wenig an die Richtung, die Kim Gordon eingeschlagen hat, deren Album ich allerdings auf voller Länge zu anstrengend finde.

Daran musste ich auch denken. Zum Glück ist das Album eines meiner liebsten des Jahres. Allerdings hat es auch die deutlich bessere Stimme.

Hierkannmanparken

2024-09-30 16:06:28

Ich stecke in der Thematik zugegeben nicht drin und habe mich noch nicht mit Low auseinandergesetzt. Aber "Get Still" ist richtig gut

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