Sophie - Sophie

Transgressive / PIAS / Rough Trade
VÖ: 25.09.2024
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10
4/10

Nothing more to say

Um einen Vorwurf direkt aus der Welt zu räumen: Nein, "Sophie" ist kein posthum zusammengezimmertes Frankenstein-Ungetüm, das übriggebliebene Studioreste fleddert, um noch mal Reibach zu machen. Es ist in der Tat mehr oder weniger wohl fast genau das Album, welches die tragischerweise 2021 verstorbene Sophie in jenem Jahr veröffentlichen wollte, wie an reihenweise im Netz herumschwirrenden Bootlegs zu erahnen ist – wenn man nicht schon sowieso der offiziellen Mitteilung glaubt. Und ja, trotzdem scheinen einige Songs genau den Feinschliff vermissen zu lassen, der das großartige "Oil of every pearl's un-insides" zum Meisterwerk werden ließ. Beispielsweise hat "Plunging asymptote" einen herrlich biestigen Synth, der Juliana Huxtables kalte Spoken-Word-Vocals trifft, begnügt sich aber damit, viereinhalb Minuten lang ohne Entwicklung auf dieser einen Idee herumzukauen. Gerade das Stück wurde jedoch von Sophie und Huxtable unter dem Namen Analemma bereits 2019 mit nur leicht verändertem Mix offiziell veröffentlicht. Es ist also mindestens die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Sophie mit diesem Album, das ursprünglich "Transnation" heißen sollte, auch zu Lebzeiten enttäuscht hätte. Und dass ihr Bruder Benny Long, der schon oft mit ihr zusammengearbeitet hatte und "Sophie" finalisierte, nicht zu viel, sondern sogar zu wenig an ihrer Vision herumgeschraubt hat.

Songs wie "Bipp", "Faceshopping" oder "Immaterial" waren deshalb so wichtig, weil sie Avantgarde mühelos mit Pop verbinden konnten. Die nun nachgeschobenen 16 Tracks, die Sophies offizielles Œuvre mal eben beinahe verdoppeln, scheinen eher bestrebt, diese Pole wieder fein säuberlich voneinander zu trennen. "Reason why" oder "Exhilarate" sind starke Popsongs, lassen aber Sophies ursprüngliche Vorstellung von Sounds und Klangwelten nur als Beiwerk mitlaufen. Daneben stehen reine Ambient-Exkurse, ein nach Trap klingendes "Rawwwwww" oder nahezu entmenschlichte Stroboskop-Soundtracks wie "Elegance". Das bedeutet, dass "Sophie" allein durch das sehr breitgefächerte Rohmaterial eine Mammutaufgabe darin hat, alles unter einen passenden Hut zu bringen. Die Lösung liegt in einer klaren Separierung der Tracklist in Viertel. Was bei entsprechend aufgeteilten Vinylseiten noch funktionieren kann, wirkt digital trotz der nahtlos abgemischten Übergänge oft wie aneinandergetackerte EPs, die besser für sich gestanden hätten. Auf was genau soll man Lust haben, um "Sophie" ganz durchzuhören? Abstraktion? Bubblegum-Pop? Clubbanger? Die Platte will alles sein und ist am Ende nichts so richtig.

Sie startet außerdem mit dem schwächsten Part, der sich entrückt präsentiert. "Plunging asymptote" ist trotz des erwähnten Handicaps noch das beste daran. "Intro (The full horror)" hätte hingegen dank seiner ziellosen Huibuherei "The full boredom" als passenderen Untertitel bekommen sollen und das schier endlose "The dome's protection" samt Eso-Synths und Geschwafel ist wohl das schwächste Stück, auf dem der Name "Sophie" je prangte. Die folgende Pop-Sektion macht da bedeutend mehr Spaß, auch wenn sich die Schwäche der manchmal überdrüssigen Repetition bei Songs wie "Why lies" fortsetzt, wo zugleich auch der Gesang schwächelt. "Do you wanna be alive?" fungiert als Zwischenstück, bremst den Überschwang aus und endet in einem harten Beat, der die Elektro-Schlagseite einleitet. Hier dominieren verschwitzte Beats, die keinen Spaltbreit Licht in ihre abgedunkelte Atmosphäre lassen. "Willkommen aus Deutschland, Honey", heißt es im harten, aber mitreißenden "Berlin nightmare", das sich als Coda noch in den "Gallop" reiten lässt. Auch "One more time" ist wieder ein Stück, das mehr Fragezeichen hinterlässt: Die halbe Zeit verbringt es vermuffelt hinter Milchglas, wenn der Sound dann endlich klar wird, fehlt der Payoff und es verabschiedet sich sang- und klanglos. War der Song wirklich fertiggestellt?

Das letzte Viertel gerät erneut poppig, aber deutlich sanfter und lieblicher als bei Track fünf bis sieben. "Always and forever" und "My forever" schweben nicht nur im Titel auf Wolken, letzteres fungiert quasi als eine vorgegriffene Reminiszenz an die verstorbene Ikone: "Distant nights, city lights, in a dream / I can almost feel you again next to me, beautiful / How I long to be forever." Beide trödeln jedoch auch etwas zu lange in ihrem Mindspace herum. Der Closer "Love me off Earth" verteilt als Kontrast dazu noch mal eine Backpfeife und weckt mit grellen Vocals der New Yorkerin Doss und einem stampfenden Beat auf. Auch wenn die Beat-Switches im weiteren Verlauf etwas weird sind, bleibt der Abschluss gelungen. Er kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Sophie" die Kohärenz im Gesamten und die Liebe zum Detail fehlt. Wem man den Vorwurf diesbezüglich machen kann, wird vermutlich ewig unklar bleiben. Sophies Diskographie hat nun jedenfalls ein Stiefkind bekommen, das trotz lohnender Momente bestenfalls ein Achselzucken hervorruft. Und es umso schmerzhafter macht, dass sie fehlt und nicht noch mehr bahnbrechende Musik hinterlassen hat.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Reason why (feat. Kim Petras & BC Kingdom)
  • Berlin nightmare (feat. Evita Manji)
  • Exhilarate (feat. Bibi Bourelly)

Tracklist

  1. Intro (The full horror)
  2. Rawwwwww (feat. Jozzy)
  3. Plunging asymptote (feat. Juliana Huxtable)
  4. The dome's protection (feat. Nina Kraviz)
  5. Reason why (feat. Kim Petras & BC Kingdom)
  6. Live in my truth (feat. BC Kingdom & Liz)
  7. Why lies (feat. BC Kingdom & Liz)
  8. Do you wanna be alive? (feat. Big Sister)
  9. Elegance (feat. Popstar)
  10. Berlin nightmare (feat. Evita Manji)
  11. Gallop (feat. Evita Manji)
  12. One more time (feat. Popstar)
  13. Exhilarate (feat. Bibi Bourelly)
  14. Always and forever (feat. Hannah Diamond)
  15. My forever (feat. Cecile Believe)
  16. Love me off Earth (feat. Doss)
Gesamtspielzeit: 67:03 min

Im Forum kommentieren

nörtz

2024-10-12 19:41:36

"Intro (The full horror)" hätte hingegen dank seiner ziellosen Huibuherei "The full boredom" als passenderen Untertitel bekommen sollen

Das ist doch ein tolles Ambientstück! Herrlich!

Rhyton

2024-10-07 20:52:15

Feinschliff ist alles.

Rhyton

2024-10-07 20:51:40

Niemals hätte Sophie das so veröffentlicht. Ich boykottiere das, und dabei bin ich sonst gegen Boykott.

Armin

2024-10-07 20:13:50- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?


MickHead

2024-09-26 20:10:29

Wurde bereits heute veröffentlicht.

"Sophie" bei Bandcamp

https://futureclassic.bandcamp.com/album/sophie-sophie

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