Broken Social Scene - You forgot it in people
Arts & Crafts / Vertigo / Mercury / UMIS / UniversalVÖ: 02.03.2004
Für immer die Menschen
Postrock kann anstrengend sein. So anstrengend, daß sich in Kanada eine ganze Horde von musikalischen Freigeistern, Avantgardisten und Klischeeverächtern gedacht hat, jetzt doch einfach mal Pop zu machen. Broken Social Scene heißt jenes derzeit mindestens zehnköpfige Kollektiv und "You forget it in people" ihr zweites Album. Klingt also erst einmal wieder nach dem üblichen Antiglobalisierungs-Kram. Systemkritik und Verschwörungstheorie und so. Zuviel Botschaft für simple Hooks. Falsch, falsch, falsch! Denn dieses Mal halten sich viele, viele kleine und entzückende Melodien an das Vermummungsverbot.
Selbst wenn die gesamte Torontoer Sippschaft gleichzeitig aufspielt, fokussiert sich das Geschehen genau dort, wo gerade die nächste herzergreifende Tonfolge geboren wird. Mal sind's die Gitarren, mal ein paar Bläser, und im nächsten Augenblick wieder kicherndes Klimpern, ein dröhnender Baß oder ein verstimmtes Banjo. Der Rest tupft und schwillt und streichelt und flüstert, nur um bloß nicht zu stören. Selten klang Disziplin so unangestrengt.
Während sich nämlich andere in der eigenen Partitur verheddern, flöten Broken Social Scene einfach ein paar Kinderlieder, gehorchen augenzwinkernden Regieanweisungen und klatschen sich selbst Beifall. Wo man im einen Augenblick die neonfarbene Titelmusik für eine imaginäre Seifenoper herbeispinnt, jault im nächsten die Riffschleuder los, nur um gleich wieder einem obszön süßen Jungmädchen-Ohrwurm Platz zu machen. Flirrende Gitarren und flirtende Vocoder wechseln sich ab. Autistische Monotonie und aprilfrische Harmonieseligkeit gehen ineinander über und werden eins.
Das, was zwischen Songtiteln wie "Capture the flag" und "Pitter patter goes my heart" an hemmungsloser Kreativität wartet, würde selbst notorischen Spielkindern wie den Flaming Lips oder den Super Furry Animals offene Münder verpassen. Es herrscht homogenster Eklektizismus. Elektroknispel, Riffsalven, Jazzsprengsel, Sphärenklänge, orchestrale Erhabenheit, weißes Rauschen, kalifornische Sonne - mitunter alles gleichzeitig. Immer gemeinsam, niemals gegeneinander. Alles im Sinne des Popsongs.
Das Faszinierendste an diesem Album ist nämlich, daß es bei aller Komplexität so verdammt eingängig ist. Keine übervereinfachte Durchschaubarkeit, keine lebensferne Abstraktion. Musik für Herz und Kopf gleichzeitig. Woran ganze Legionen an Musiker schon gescheitert sind, schütteln Broken Social Scene mit einer Leichtigkeit aus dem Ärmel, daß man es kaum glauben kann. Die beteiligten Musiker wohl zunächst auch nicht so recht. "Die Idee, einfach einen vierminütigen Popsong zu schreiben, war für so viele von uns völlig neu." Learning By Doing statt Trial And Error. Zur Nachahmung dringend empfohlen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- KC accidental
- Stars and sons
- Anthems for a seventeen-year-old girl
- Cause = time
Tracklist
- Capture the flag
- KC accidental
- Stars and sons
- Almost crimes (Radio kills remix)
- Looks just like the sun
- Pacific theme
- Anthems for a seventeen year-old girl
- Cause = time
- Late nineties bedroom rock for the missionaries
- Shampoo suicide
- Lover's spit
- I'm still your fag
- Pitter patter goes my heart
Im Forum kommentieren
Felix H
2022-10-15 23:08:20
Stereogum zum 20.
"Lover's Spit" ist einfach soooo groß. Und das Album selbst kaum weniger.
dreckskerl
2021-05-25 21:32:53
My litle Japanese mit einer plötzlich einsetzenden Flamencogitarren, macht diese Band schon aus, diese vielen kleinen Arrangementideen, die machen mir echt gute Laune.
Felix H
2021-05-25 21:25:54
Ja, super Platte und ihre beste.
Nur die Lautstärkeunterschiede zwischen den Tracks hatten mich immer genervt. Empfindet jemand "Almost Crimes" auch als verhältnismäßig leise?
dreckskerl
2021-05-25 21:02:32
Ja, ein absolut großartiges Album...habe dieses und Weakerthans "Reconstruction Site" gemeinsamin in einem sehr coolen Laden in Hamburg gekauft. Wahrscheinlich mein bester 2-CDs-gekauft-beide-Meisterwerk-Treffer.
Affengitarre
2021-05-25 20:21:21
Wirklich schönes Album. Anfangs habe ich mich etwas daran gestört, dass es nicht mehr Sachen wie "Anthems for a Seventeen Year-Old Girl" gibt, aber mittlerweile mag ich die Vielseitigkeit des Albums total. Wirklich schöner Sound, tolle Songs und das Zusammenspiel der verschiedenen Sängerinnen und Sänger harmoniert wunderbar miteinander.
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