Weather Systems - Ocean without a shore

Music Theories / Mascot / Rough Trade
VÖ: 27.09.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Auftauchen

Ja, es mag abgedroschen klingen. Aber die größte Überraschung an dieser Platte ist, dass sie überhaupt existiert. Und das ist eine sehr positive Nachricht. Was war passiert? Mitte 2020, also inmitten der Corona-Pandemie, wurde über die Social-Media-Kanäle von Anathema zuerst eine Pause von unbestimmter Dauer verkündet. Nur wenig später folgte die verstörende Nachricht, dass die Band ihr komplettes Equipment verkaufen wolle. Wie sich herausstellte, litt Gitarrist Daniel Cavanagh schon geraume Zeit an diversen psychischen Erkrankungen – die 2022 in einen Selbstmordversuch mündeten, den der Brite gottlob überlebte. Hoffen wir also zunächst, dass die entsprechenden therapeutischen Maßnahmen erfolgreich sind. Manchmal kann Musik so egal sein.

Manchmal kann Musik aber auch Therapie sein, und während sich Cavanaghs Bruder Vincent mit seinem Projekt The Radicant an verschiedensten Stilen ausprobiert, versucht Daniel nunmehr, unter dem Namen Weather Systems den Geist, die Stilistik der zweiten, progressiven Bandphase von Anathema fortzusetzen aufzugreifen. Basis dafür ist Material, das ursprünglich für den Nachfolger des letzten Anathema-Albums "The optimist" verwendet werden sollte. Und einmal ganz davon abgesehen, dass selbst das Artwork von "Ocean without a shore" direkt an das des Albums "Weather systems" angelehnt ist, sind es besonders die ersten beiden Songs, "Synaesthesia" und "Do angels sing like rain?", die den Geist ebenjener Zeit versprühen.

Vor allem die Gitarrenarbeit ist unverkennbar Daniel Cavanagh, und die portugiesische Sängerin Soraia weckt gar ein wenig die Erinnerung an diese bittersüßen Gesangspassagen, die bei Anathema noch von Lee Douglas kamen. "Do angels sing like rain?" würde problemlos auf "A natural disaster" passen, beginnt nah an Porcupine Tree, um dann zu einem treibenden Rocker eskalieren zu dürfen. Natürlich ist das selbstreferenziell bis zum Gehtnichtmehr, aber ein brillanter Song bleibt nun mal ein brillanter Song. Und wenn schon mal tief in der eigenen Vergangenheit gewühlt werden darf, dann setzen "Untouchable (Part 3)" und "Are you there? (Part 2)" eben diese Geschichten auf wundervolle Weise fort.

Ein Pseudo-Cover-Album ist "Ocean without a shore" dennoch nicht, was die zweite Hälfte des Albums unter Beweis stellt. "Still lake" beginnt mit einer nervösen Keyboard-Sequenz, wird immer treibender und baut sich Schicht um Schicht seinen eigenen Spannungsbogen auf. Der allerdings mit dem geradezu anstrengend kitschigen "Take me with you", dem einzigen wirklichen Schwachpunkt der Platte, jäh zerrissen wird. Viel besser macht sich da schon der Titeltrack, der nochmal tief in den Anathema-Annalen wühlt, bevor "The space between us" gar ein wenig afrikanische Klänge zitiert – Peter Gabriel hätte vermutlich direkt den Soweto Gospel Choir ins Studio eingeladen. Klingt zuerst skurril, im Ergebnis allerdings erstaunlich stimmig. So ambivalent der Albumtitel auch sein mag – unendliche Weite oder eben Verlust des rettenden Ufers – zeigt "Ocean without a shore" Cavanagh trotz allem immer noch als hoch begabten Songwriter, der nach wie vor Emotionen in hochklassige Musik gießen kann. Der Song "The lost child" auf dem Album "Weather systems" endet mit den Zeilen "My mind is drowning now / But your hand reaches down / To reach down and pull me out and / Save me". Möge er diese Hand finden und ergreifen.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Do angels sing like rain?
  • Untouchable (Part 3)
  • Ocean without a shore

Tracklist

  1. Synaesthesia
  2. Do angels sing like rain?
  3. Untouchable (Part 3)
  4. Ghost in the machine
  5. Are you there? (Part 2)
  6. Still lake
  7. Take me with you
  8. Ocean without a shore
  9. The space between us
Gesamtspielzeit: 56:38 min

Im Forum kommentieren

Speedy

2024-10-04 11:15:11

recht klare empfehlung von mir: wer anathema mag, der mag auch dieses album. ist jetzt nicht wirklich überraschend diese info von mir, aber vielleicht reicht es auch schon für den ein oder anderen um reinzuhören.

Hierkannmanparken

2024-10-02 21:40:56

Diese Anathema-typische Melancholie hat mich gleich wieder gepackt!

Der Song Ocean Without a Shore erinnert mich total an Kathryn Joseph's What Is Keeping You Alive...

Armin

2024-09-30 21:01:17- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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