Gurriers - Come and see
No Filter / PIAS / Rough TradeVÖ: 13.09.2024
Tanz in den Untergang
Als die Briten sich entschlossen, Nigel Farage und Boris Johnson in den Abgrund zu folgen, gab es für Musikbegeisterte zumindest einen Hoffnungsschimmer: Die Idee, dass aus den Folgen auch große Kunst entsteht und wahrscheinlich eine neue Generation Musiker heranwächst, die die Auswirkungen des Brexit laut und wütend in die Welt hinausschreit. Für eine kurze Zeit sah es auch so aus, dass Bands wie Sleaford Mods oder Idles diese Rolle übernehmen könnten. Doch in letzter Zeit macht sich zunehmend ein Kuschelkurs bemerkbar, bei dem unter anderem Idles Zusammenhalt und Liebe beschwören und auch musikalisch den Baseballschläger wieder in den Schrank geräumt haben. Umso erstaunlicher, dass die Wutkeule aus einer Ecke schwingt, an die noch gar nicht gedacht wurde: Irland. Nicht nur Fontaines D.C. geben derzeit den Ton auf den Inseln an, jetzt kommt eine Truppe dazu, die wirklich noch Wut im Bauch hat und mit ihrem Debüt "Come and see" ordentlich austeilt.
Gurriers komprimieren das aktuelle Lebensgefühl einer Gesellschaft im apokalyptisch-kapitalistischen Sell-out, sie bringen auch das Klassenbewusstsein wieder zurück und geben sich nicht mit den vorherrschenden Verhältnissen zufrieden. Ein geiles Leben ist nun mal keine Frage des Mindsets. "Nausea" öffnet die Büchse, die bis zum Rand gefüllt ist mit Krisen, Krankheiten und Leid. Qualvoll quietschende Gitarren und gehetzte Beats setzen die Stimmung für die nächsten vierzig Minuten, in denen Gurriers uns mit der Wirklichkeit konfrontieren. "Des goblin" und "Dipping out" thematisieren die Zerrüttung der Gesellschaft unter digitalem Dauerfeuer und der Normalisierung des Wahnsinns. Diese Themen werden musikalisch so gut aufgefangen, dass man schon fast ein schlechtes Gewissen bekommt; erwischt bei der Versuchung, fröhlich in den Untergang zu tanzen. Aber ruhig sitzen bleiben ist auch keine Option. Und das Quintett aus Dublin knüppelt gnadenlos weiter, wobei nicht immer eindeutig ist, ob die Melodien für den Tanz am Abgrund noch einer krachenden Gitarre oder einem blubbernden Synthie entspringen, wie im gehetzten "Close call". Da wirken "Prayers" und "Top of the bill" schon beinahe positiv, zumindest lassen sie die Hörenden für einen kurzen Augenblick aus dem Würgegriff auf dem Weg in den Abgrund.
Die große Stärke des Albums besteht darin, deprimierende Themen bei allem inszenierten Krach in ein poppiges Gewand zu kleiden, dem man sich nicht entziehen kann. "Sign of the times" ist ein Hit, und das Riff von "Top of the bill" wird wahrscheinlich in unzähligen Netflix-Serien verbaut, um Aussichtslosigkeit zu vertonen. Wäre diese Platte vor zehn Jahren erschienen, sie wäre wegweisend. Und das ist auch schon die größte Schwäche des Albums. Nach elf Liedern beschleicht einen das Bedürfnis, mal wieder "Joy as an act of resistance" von Idles aufzulegen. Und rasch wird klar, Gurriers stehen auf den Schultern der ersten Brexit-Generation. Diese Fackel mit brennender Wut wird auch absolut ebenbürtig weitergetragen. Es ist eben nicht alles originär neu auf "Come and see". Aber von der Energie, die diese Songs versprühen, lässt man sich gern mitreißen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Nausea
- Des Goblin
- Sign of the times
Tracklist
- Nausea
- Des goblin
- Dipping out
- Prayers
- Close Call
- No more photos
- Interlude
- Top of the bill
- Sign of the times
- Approachable
- Come and see
Im Forum kommentieren
saihttam
2024-11-19 23:03:39
Nach dem ersten Hören unschlüssig, ob es sich wirklich aus dem weiten Postpunk-Feld absetzt. Einige Songs gut, einige aber auch eher durschnittlich.
foe
2024-10-01 12:38:55
Gutes Album.
saihttam
2024-09-30 23:52:39
Werde bei Zeiten reinhören!
MickHead
2024-09-30 12:15:12
indie rock / post punk / shoegaze five-piece
aus Dublin
Diesem Album sollte man doch ein Ohr gönnen.
Rezension passt!
https://gurriersdub.bandcamp.com/album/come-and-see
Armin
2024-09-23 21:16:26- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Gurriers - Come and see (5 Beiträge / Letzter am 19.11.2024 - 23:03 Uhr)