MJ Lenderman - Manning fireworks
ANTI- / Epitaph / IndigoVÖ: 06.09.2024
Absurdicana
MJ Lenderman ist kein Freund glatter, einfacher Geschichten, davon zeugt bereits das erste Bild auf "Manning fireworks": "Birds against a heavy wind that wins in the end." Angetrunken tänzeln Geigen durch die titelgebende Country-Ballade, am Ende presst sich ein erschöpftes Gitarrensolo aus den Boxen. Es sind meist vom Wind verstreute Existenzen, die seine Songs bevölkern, durch einen amerikanischen Alltag vagabundieren, der von Absurdität durchtränkt ist, und die dabei stets den Wunsch nach Verbundenheit vor sich herflüstern und -lallen. Der 25-Jährige aus North Carolina legt tatsächlich bereits sein fünftes Album vor – hinter dem körnigen Coverfoto seines Debüts hatten sich nachdenklich mäandernde Slowcore-Epen à la Jason Molina verborgen, die 2022 veröffentlichten "Boat songs" lieferten schrulligen Lo-Fi-Indie über Basketball, Hausboote und das Ringen um Würde. Lenderman, der sich auch als Gitarrist der zwischen noisigem Shoegaze und Alt-Country pendelnden Wednesday einen Namen gemacht hat, speist seinen Solo-Sound dabei aus diversen Einflüssen, denen eines gemein ist: eine aktuellen Trends widerspenstige Zeitlosigkeit. Anders gesagt: "Manning fireworks" richtet den Fokus voll und ganz auf das Songwriting selbst, ohne Netz und doppelten Boden, ohne Studioextravaganzen und Schleier. Dabei entstanden sind neun fantastische Songs, deren Zeilen und Melodien man immer wieder vor sich her summen möchte. "Manning fireworks" haftet schon zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung die Anmutung eines Klassikers gegen den Strich gebürsteter Gitarrenmusik an.
"Please don't laugh, only half of what I said was a joke", singt Lenderman in "Joker lips", die Stimme präsenter und charakteristischer als zuvor, während beschwingte Licks und eine melancholische Orgel um Deutungshoheit streiten. Tragik und Komik reichen einander stets die Hände in diesen Liedern, vielleicht die Königsdisziplin guten Songwritings, wie es David Berman oder Will Oldham vorgemacht haben. "Draining cum from hotel showers / Hoping for the hours to pass a little faster", bekennt er kurz zuvor – die Scham zu offenbaren, kristallisiert sich als eines der Hauptthemen des Albums, das ein ums andere Mal Lendermans katholische Prägung widersprüchlich schillern lässt. Auch die Schlusspointe gerät zur Entblößung, jedoch anderer Art: "Yeah, you know I love my TV / But all I really wanna see, is see you need me." Ein Glanzstück reiht sich an das andere auf der A-Seite, die zugleich sämtliche Vorabsingles versammelt. "She's leaving you" sticht als waschechter Power-Pop-Hit heraus, lässt die Gitarren immer höher zu einer Hook wirbeln, die man schon beim zweiten Mal mitschreien möchte: "It falls apart, we all got work to do." Im letzten Durchlauf verebben Lendermans Stimme und Verzerrer, übrig bleibt der von Karly Hartzman, Sängerin von Wednesday, intonierte Songtitel. Bittersüß angesichts der kürzlich bekanntgegeben privaten Trennung der beiden, die jedoch weiterhin zusammen Musik machen möchten.
"Rudolph" bringt eine Slide-Gitarre über abgehangenem Slacker-Rock zum Schweben; Lenderman jongliert munter mit Popreferenzen und lässt Dylans ikonische Frage – "how many roads must a man walk down?" – in Malkmus'schen Nonsens entgleiten. Und das prägnante Riff von "Wristwatch" baut ein Fundament für Lyrics, die zwischen Surrealem, Wortwitz und Sinnkrise schwanken: "And I've got a houseboat docked at the Himbo Dome / And a wristwatch that's a pocket knife and a megaphone / And a wristwatch that tells me I'm on my own." In seiner zweiten Hälfte gerät "Manning fireworks" ruhiger, öffnet sich zumeist vorsichtiger. Kratzende Streicher und Bluegrass-Elemente versetzen "Rip torn" einen Stoß Richtung Herzschmerz, ins tieftraurige "You don't know the shape I'm in" verirrt sich, einem Tagraum gleich, ein Saxofon. In ihren besten Momenten erinnern Lendermans Vignetten beinahe an die Poetik David Bermans, wenn Beobachtungen unterschiedlicher Skalen einander scharf abwechseln ("We sat under a half-mast McDonald's flag / Broken birds tumble fast past my window / You don't know the shape I'm in") oder zu süffisanten Aphorismen verdichten wie im mit aufgerissenem Verstärker gespielten Crazy-Horse-Rocker "On my knees": "Goin' on vacation brings the worst out of everyone."
Eine Überraschung hält zum Ausklang "Bark at the moon" bereit, dessen sechsminütiges Drone- und Feedback-Outro sich zunehmend besänftigt und ein in dieser Form unerwartetes reflexives Schlusskapitel schreibt. Fast wirkt es, als lasse Lenderman den vorbeigezogenen emotionalen Strom ein wenig nachwirken, Ruhe einkehren in die Turbulenzen jedes nie nur trivialen Lebens. Wollte man "Manning fireworks" einen Vorwurf machen, dann den, dass die famose B-Seite "Knockin'" keinen Platz darauf gefunden hat. Was auch nur wieder heißt: Dieser Mann wird hoffentlich noch viele Songs aus Notizblock und Sechssaiter herausschütteln, um dem Übersehenen Raum zu geben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Joker lips
- Wristwatch
- She's leaving you
Tracklist
- Manning fireworks
- Joker lips
- Rudolph
- Wristwatch
- She's leaving you
- Rip torn
- You don't know the shape I'm in
- On my knees
- Bark at the moon
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Kevin
2024-09-23 20:46:57
Album holt mich KOMPLETT ab. Schön, dass neue Musik noch so begeistern kann.
Vive
2024-09-23 12:30:26
Das ist halt diese komplett nüchterne Betrachtung.
Als würde man einem Alien von unserer Welt erzählen. Bei mir landet die schon sehr.
Hierkannmanparken
2024-09-23 12:00:01
Als könnte er sich nicht entscheiden, ob er sich über die Menschen in den Songs lustig macht oder ob er sie liebevoll betrachtet. Den Spagat zwischen diesen beiden Perspektiven kriegt er mMn oft nicht gut hin.
Hierkannmanparken
2024-09-23 11:56:39
Mir persönlich sind die Lyrics oft zu zusammenhangslos. So aneinandergereihte, sarkastische Beobachtungen, die ein Gesamtbild ergeben sollen. Das macht die Aufrichtigkeit, die hinter Songs wie She's Leaving You liegen könnte, irgendwie kaputt.. wobei das Konzept im Opener noch ganz gut aufgeht. Und She's Leaving You finde ich trotz Allem wunderschön!
captain kidd
2024-09-22 22:50:38
Die Jayhawkes sind aber viel subtiler und musikalisch substanzieller als Lendermann. Denen fehlt auch das Slackerhafte.
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