Jamie xx - In waves

Young / XL / Beggars / Indigo
VÖ: 20.09.2024
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Die Hitze dauert an

Es muss sich auch mal auszahlen, das harte Leben in der Redaktion von Plattentests.de: die Brutkasten-Temperaturen bei Sonnenschein aufs vollverglaste Bürogebäude, das Aufräumen im Facebook-Kommentarbereich als Strafe, wenn man mal wieder Mist gebaut hat, die knappen Deadlines, die der Linder einem in den Nacken atmet, das pflichtbewusste Lachen über Running Gags Marke "irgendwas mit Pilzrahmsuppe". It's a hard knock life. Dann und wann meint es das Schicksal jedoch besser mit einem als mit dem Durchschnittshörer der Restrepublik. Nämlich genau dann, wenn eine Platte wie "In waves", das zweite Solowerk von Jamie xx, pünktlich Anfang August zur Hitzewelle auf dem digitalen Plattenteller liegt – und eben nicht erst zur ungünstig gelegten offiziellen VÖ Ende September, sobald die Temperaturen bergab gehen und die Tage spürbar kürzer werden. "Still summer" heißt ein Instrumental hier und nicht nur das fühlt sich an wie kitzelige Sonnenstrahlen auf mit salzigem Meerwasser betröpfelter Haut. Vielleicht geht es Jamie Smith jedoch genau darum: ein Mindset zu konservieren, völlig unabhängig, welches Wetter draußen herrscht.

"In waves" beginnt in der Tat "in waves". "Wanna" fungiert als Intro, das einen chilligen Clubtrack immer wieder aufblitzen lässt, um ihn wieder zurückschwappen zu lassen. Zumindest so lange, bis die beatgetriebene Sirene von "Treat each other right" querschießt und den Dancefloor eröffnet. Ein Sample proklamiert: "All we gotta do is treat each other right!", es pitchen sich diverse Vocalfetzen durch das Gewusel und fertig ist ein Knaller, wie ihn nur Jamie xx so mühelos aus dem Ärmel schüttelt. In die gleiche Kerbe schlägt das von Honey Dijon unterstützte "Baddy on the floor", das spätestens beim Bläsereinsatz alle im Sack hat. Was also die seit 2022 erschienenen Singles "Let's do it again", "Kill dem" und "It's so good" – die alle auf "In waves" nur bei der Deluxe-Vinyl als Bonus enthalten sind – in ihrem Sound andeuteten, setzt sich auf dem regulären Album fort: Jamie xx samplet nach dem bunt geratenen "In colour" erneut, was das Zeug hält, und findet dazu noch mehr zwingende Rhythmen mit hitzigem Flair.

Kein Wunder, dass die Reunion mit Romy Madley-Croft und Oliver Sim bei "Waited all night" eben nicht wie The xx klingt, sondern sich nahtlos in die Umgebung einfügt. "Nahtlos" ist hier wörtlich zu nehmen, alle Tracks sind wunderbar miteinander verwebt, das Herz geht zum Beispiel auf, wenn "Life" den Staffelstab von "Still summer" erst aufnimmt und dann in seinen ganz eigenen Groove verfällt. Vielleicht hätte man aus dem Robyn-Feature noch einen Tick mehr rausholen können, aber auch so heizt der Track gut ein. Einen anderen Ansatz fährt "Dafodil", das sich mit Kelsey Lu, John Glacier und Panda Bear in die Wärme fläzt und träge Halb-Raps über das Backing streut – eine willkommene Ruhephase inmitten der Tanz-Animationen. Eine andere Färbung bekommt "In waves" im letzten Drittel. "Breather" ist nicht nur der längste Track, sondern auch der cluborientierteste. Es dauert eine ganze Weile, bis der düstere, leicht knurrige Beat Melodie und Farben zulässt, umso schöner gerät die Entfaltung am Schluss.

Mit The Avalanches an Bord schnattert "All you children" wie eine hochgepitchte Kindermelodie herum, ohne das Four-to-the-Floor-Prinzip zu verachten. Der Track wird lauter und dichter, bis er sich plötzlich ins Interlude "Every single weekend" kunstvoll ergießt. Die Kinder dürfen im Hintergrund noch etwas tollen, während Jamie xx das Finale vorbereitet. Dort steuert die Irin Oona Doherty einen Spoken-Word-Part bei, der sich stark an Carl Sagans berühmtes "Look again at that dot"-Zitat über den Platz der Erde im weiten Weltraum anlehnt. Ein schöneres "What the fuck?" hat man tatsächlich lange nicht mehr gehört. Genau in diesen Weltraum hebt "Falling together" mit herrlichen Trance-Anleihen ab, zieht noch einmal alle Register und schubst "In waves" in eine neue Intensitätsstufe, tauscht die Strandparty ganz unangestrengt gegen einen Cosmos-Rave. Absolut großartig! Wen interessiert da am Ende noch, ob nun gerade Frühjahr, Sommer, Herbst, Winter oder Fassnacht ist?

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Treat each other right
  • Baddy on the floor (feat. Honey Dijon)
  • All you children (feat. The Avalanches)
  • Falling together (feat. Oona Doherty)

Tracklist

  1. Wanna
  2. Treat each other right
  3. Waited all night (feat. Romy & Oliver Sim)
  4. Baddy on the floor (feat. Honey Dijon)
  5. Dafodil (feat. Kelsey Lu, John Glacier & Panda Bear)
  6. Still summer
  7. Life (feat. Robyn)
  8. The feeling I get from you
  9. Breather
  10. All you children (feat. The Avalanches)
  11. Every single weekend (Interlude)
  12. Falling together (feat. Oona Doherty)
Gesamtspielzeit: 44:50 min

Im Forum kommentieren

foe

2024-09-20 17:55:29

Was für ein Album, wow. In der Tat nicht weit von 'In Colour' entfernt und genau darum auf Anhieb so vertraut. Aber trotzdem auch neu. Toll.

The Libertine

2024-09-20 15:24:55

Gute Platte, die den starken Nachteil hat, das sie nahezu genauso klingt wie das Debüt. Überraschungseffekt also 0, auch finde ich, dass die einzelnen Samples und musikhistorischen Referenzen sich auf dem Debüt etwas homogener eingefügt haben, dennoch: Eine gute 7 ist das schon mindestens.

ichreitepferd

2024-09-20 10:49:47

Finde das aktuelle Album gelungen.

KingOfCarrotFlowers

2024-09-20 10:27:18

Da bin ich komplett anderer Meinung. Zugegeben fand ich die Vorab- Veröffentlichungem auch etwas schwach. Aber die Magie von Jamie xx funktionierte bei mir auch schon bei "in Colours" nur im Albumkontect. Vielleicht ist das die größte Kunst dahinter...Die Songs so aneinander zu reihen, dass daraus ein einziger, hoffentlich nie enden wollender, Trip entsteht.
Ganz großes Lob auch an den Rezensenten! Selten habe ich einen Artikel so konsequent lächelnd und zustimmend nickend gelesen wie diesen.

ichreitepferd

2024-09-17 19:48:02

In Colour vermutlich Top 50 All Time Album, dass hier wird, fürchte ich, eher nichts.

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