Nilüfer Yanya - My method actor
Ninja Tune / Rough TradeVÖ: 13.09.2024
You want it darker
Die Dynamik von Kunst und Künstler*in beschäftigt den popkulturellen Diskurs fortwährend. Nilüfer Yanya widmet dem Method Acting – der Schauspieltechnik, bei der persönliche Erfahrungen und Erlebnisse in die Rolle fließen sollen – gleich ein ganzes Album. Ob ihrer offensiv zur Schau gestellten, leider recht unkritischen Pro-Palästina-Haltung befeuert auch Yanya selbst die Frage, inwieweit persönliche Äußerungen auf die Rezeption des Werks einwirken können. Musikalisch bietet die Britin allerdings bedeutend weniger Angriffsfläche. Nachdem schon "Painless" zu Recht viel Lob und Ehre einheimste, macht "My method actor" damit weiter, die Grenzen von Indie-Pop und -Rock auszuloten. Die luftige Aufbruchsstimmung des Debüts "Miss Universe" ist mittlerweile völlig verraucht: Yanya zog sich für einen intensiven Aufnahmeprozess nur mit Kreativpartner Wilma Archer zurück, was man der kaum einen Sonnenstrahl durchlassenden Platte mehr als anhört. Mit klarer Vision schlingt die Frau mit irisch-türkischen Wurzeln ihre so charakteristische, soulige Stimme um genrefreie Kompositionen und beweist mit noch mehr Nachdruck als auf dem Vorgänger, wie man auch im Jahr 2024 absolut eigenständig klingen kann.
"Keep on dancing", fordert der Opener schon im Titel, präsentiert sich zwar keineswegs tanzbar, setzt aber einiges an kinetischer Energie frei. Gehetzt schrammelt sich Yanya die Sorgen vom Leib, während der von einem zitternden Beat und allerlei anderem Geräusch durchzogene Zweiminüter zu platzen droht. Akustikgitarre und komplexe Percussion dominieren auch "Like I say (I runaway)", ehe diese erste Single mit angeschmissenen Verstärkern die Wände zum Wackeln bringt. Erholung? Gibt's auch im Quasi-Titeltrack "Method actor" nicht, der die Stromgitarre im Refrain gar in ein noisiges Stakkato überführt. Ein kraftvoller Albumstart, der ähnlich wie zuletzt Marika Hackman auf "Big sigh" gleichsam widerspenstigen wie zugänglichen Art-Pop in ein Neunziger-Rock-Bad taucht und ein wenig im Widerspruch zu den im ersten Absatz geschilderten Eindrücken steht. Erst im zum Sterben schönen "Binding" offenbart die Platte ihr wahres Wesen. Hier erinnert Yanya trotz der konträren Stimmfarbe an eine ältere, resigniertere Schwester von Arlo Parks und bohrt sich mit perlenden Saiten, wie sie selbst singt, "deeper and deeper". Eine andere Richtung wird die folgende halbe Stunde nicht mehr einschlagen.
So, wie Ben Howard auf dem grandiosen "Is it?" eine neue, freie Stimme gefunden hat, funktioniert auch "My method actor" als von stilistischen Trennlinien gelöster Stimmungsfänger. Wundervolle Melodien schälen sich aus den detailreichen, verwinkelten Arrangements, während Yanyas mit der Weisheit der Erde gespeisten Worte die Ankerpunkte bilden. Das mag alles aufs oberflächliche Ohr gleichförmig klingen, doch wer sich darauf einlässt, wird von einem Klangraum eingesogen, der tief ins eigene emotionale Fleisch vordringt. Im Herzen des Albums pulsiert "Ready for sun (Touch)", das auf seinen Streichern wahrlich zur Sonne emporsteigt, nur um kurz vorher zu kollabieren und auf den Boden zu stürzen. In "Faith's late" dürfen die Streicher später solieren, bevor das über bedrohlichem Bass brodelnde "Just a western" mit Chor-Schwung den Weg für die Abschlussminiatur "Wingspan" bereitet. Den Übergang zwischen zwei Lebensabschnitten sollte "My method actor" vertonen, und schafft dies mit seiner speziellen Form der Rastlosigkeit, die gleichzeitig im Dunkel verharrt und in konstanter Bewegung in alle Richtungen fließt, auf beeindruckende Weise. Für den nächsten Schritt wird Nilüfer Yanya vielleicht sogar wieder die Vorhänge zur Seite schieben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Like I say (I runaway)
- Method actor
- Binding
- Ready for sun (Touch)
Tracklist
- Keep on dancing
- Like I say (I runaway)
- Method actor
- Binding
- Mutations
- Ready for sun (Touch)
- Call it love
- Faith's late
- Made out of memory
- Just a western
- Wingspan
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foe
2024-10-15 13:32:28
Remix-Album/EP incoming (22.11.).
Saschek
2024-10-04 14:35:11
So gesehen fehlt - finde ich - auch Sade als Referenz.
Hierkannmanparken
2024-10-04 13:54:58
Also für die Gitarren im Titeltrack hätte man ruhig die Deftones in die Referenzen aufnehmen können. :D
Vennart
2024-10-01 17:34:43
Sicherer Platz für die Top 5 der Alben des Jahres, tolle Platte!
Unangemeldeter
2024-09-29 11:56:18
Echt ein super Album und nochmal besser als Painless. Mir gefällt vor allem dass es nicht mehr ganz so dicht ist, sondern die Musik ein wenig Luft zum Atmen bekommt. Das hat mir beim Vorgänger gefehlt, den ich deswegen auch selten am Stück durchhören mochte.
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