Nada Surf - Moon mirror

New West / Bertus
VÖ: 13.09.2024
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Ein Freund, ein guter Freund

Es fällt in diesen Zeiten zunehmend schwer, ein stabiles Gemüt zu bewahren. Die letzten Jahre waren oder sind geprägt von Pandemie, Krise und Krieg, in den sozialen Netzwerken sind die Lauten, Rücksichtslosen und die Bekloppten auf dem Vormarsch, es herrscht Feindschaft statt Diskurs, wie Nada Surf bereits 2008 prognostizierten: "Everyone's right and no one is sorry / That's the start and the end of this story", hieß es leider völlig korrekt in "See these bones". Es hat etwas ungemein Tröstliches, dass es in diesen volatilen Zeiten eine Konstante gibt. Eine Band, die einfach seit fast 30 gottverdammten Jahren in unveränderter – bzw. inzwischen durch Tastenmann Louie Lino verstärkter – Besetzung verlässlich und ungerührt das tut, was sie am besten kann: Empathie und Erbauung spenden. Und ja, wir haben sie vermisst: das Goldkehlchen und Songwritergenie Matthew Caws, den stoischen Schlagwerker Ira Elliot – und natürlich Daniel Lorca, der stets mit Kippe im Mundwinkel und feuchten Knopfaugen zweckdienlich das Bassfundament legt.

Nach vier Jahren Schaffenspause sind sie wieder da. Und wie sie wieder da sind, oh Boy! Unter anderem haben sie auf "Moon mirror" gleich zwei Songs im Gepäck, die wohl zu den besten gehören, die sie je geschrieben haben. Der erste ist "New propeller" und wartet mit einem einfachen, aber direkt ins Herz zielenden Gitarrenintro auf. In der ersten Strophe gießt Caws kunstfertig in Worte, was wir gerade fühlen: "There's a new propeller churning up our days / There's a whirlpool spinning digging us our graves / There's a growing menu of brand new mistakes." Um dann im hymnischen Refrain sofort und unmissverständlich klarzustellen, was Freundschaft bedeutet, nämlich zu versichern: "Don't be afraid – you won't be replaced / Don't be afraid – you won't be erased." Ganz ehrlich, wer möchte so etwas nicht gerade ins Ohr geflüstert bekommen? Dazu schrubbt Lorca eine erdbebensichere Basslinie und Elliot lässt die halboffene Hi-Hat rasseln. Herrlich. Der zweite Überflieger-Song ist "Floater", bei dem zu Beginn der Tränenzieher "80 windows" anklingt. In einem 32 Takte langen Intro gibt's zu sparsamem Ridebecken melancholische Gitarrenpickings mit Akkordfolgen, wie sie nur ein Matthew Caws entwickeln kann. Doch dann biegt der Song plötzlich in eine zuversichtliche und musikalisch fast schon etwas bekiffte Richtung ab. Hätten Nada Surf statt eines Albums nur diese beiden Tracks veröffentlicht, hätte sich schon dafür die vierjährige Wartezeit gelohnt – aber hey, da gibt es ja noch mehr.

Das staubtrocken-rotzige "Intel and dreams" beispielsweise hört sich fast an, als hätte es aus Platzgründen nicht mehr auf dem Erstling "High/Low" untergebracht werden können. Und dann sind da – z.B. mit "Second skin" und "Open seas" – klassisch-kompakte Nada-Surf-Rocker mit peitschenden Drums, sägenden Gitarren und strahlendem Gesang, die schon beim Erstkontakt herrlich losbratzen, aber ihre diversen musikalischen Widerhaken und kleinen Kunstgriffe erst nach wiederholtem Hören offenbaren. In "Losing" wiederum, das sich von Strophe zu Strophe spiralenartig intensiviert, finden Nada Surf fast zu einem Amalgam aus Flowerpower und Shoegaze – und erinnern damit vom Sound nicht wenig an Ride auf dem 1994er Album "Carnival of light". Und "The one you want" wechselt zunächst kunstvoll zwischen hektisch-zappelnden Strophen, blankgewienerten Refrains und düster-manischen Bridges. Bis dann plötzlich fast gegen Ende ganz neue Changes auftauchen und dem Song eine weitere Ebene verleihen. Man sollte nicht den Fehler machen, den man bei Nada Surf gerne mal macht: kurz mal reinhören und vorschnell denken, "och ja, kann man machen." Die zwingende Sogkraft, die von fast allen Stücken ausgeht, erschließt sich zuweilen erst beim vierten oder fünften Durchgang. Doch dann bleiben die Stücke mehr und mehr haften, schrauben sich in Hirn und Herz, sorgen für massiven und nachhaltigen Oxytocin-Ausstoß. Wer "Moon mirror" im Gepäck hat, der hat immer ein paar gute Freunde dabei, die durch schwere Zeiten helfen. Das Licht am Ende des Tunnels ist hell, taghell.

(Jochen Reinecke)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • New propeller
  • Floater
  • The one you want

Tracklist

  1. Second skin
  2. In front of me now
  3. Moon mirror
  4. Losing
  5. Intel and dreams
  6. The one you want
  7. New propeller
  8. Open seas
  9. X is you
  10. Give me the sun
  11. Floater
Gesamtspielzeit: 44:28 min

Im Forum kommentieren

BunteKuh

2024-10-22 09:39:27

Ich mag das Album sehr gerne. Kaum Schwächen, hohe Qualität.
8/10 gehen in Ordnung

jo

2024-10-21 14:15:24

Sie haben für mich ne unterschiedliche Grundstimmung. Aber ich mag beide sehr.

fakeboy

2024-10-21 10:11:09

Geht mir gleich wie oldschool. Ich war nach der Vorabveröffentlichung von In Front Of Me Now mehr als bereit, Moon Mirror zu lieben. Aber irgendwie vermag mich das Album als ganzes nicht so zu packen, wie das bei Never Not Together der Fall war.

oldschool

2024-10-21 10:06:15

Gutes Album - "never not together" hatte mich aber mehr gepackt, da man sich dort etwas aus der Comfortzone wagte.

jo

2024-10-16 09:04:06

Ich bin auch weiter sehr froh mit dem Album. "Open Seas" hat sich für mich auch langsam zu nem Highlight gemausert.

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