Fahnenflucht - Molotov Zitrone
Aggressive Punk Produktionen / Feral / EdelVÖ: 13.09.2024
Regler nach rechts, Lyrics nach links
Braucht man heute überhaupt noch Punkmusik? Oder hat diese Musikrichtung inzwischen ihre besten Tage gesehen? Irgendwann müsste doch das Prinzip "Drei Akkorde und gib ihm!" auserzählt sein, könnte man meinen. Doch ganz so einfach ist es eben nicht, denn wenn es um das Rausrotzen antifaschistischer Gesinnung und die manchmal bitter notwendige Wut im Bauch geht, dann fühlt es sich immer noch verdammt richtig an, die müffelnde Lederjacke aus dem Keller zu holen, ein frisches Dosenbier aufzureißen und sich ins Pogo-Gewühl zu stürzen. Das gilt umso mehr, wenn die Musiker, die für dieses Lebensgefühl den Soundtrack liefern, geradlinige Songs schreiben können, ihre Instrumente beherrschen und in klaren Worten anprangern, was anzuprangern ist.
Fahnenflucht ist so eine Band. Die Anfänge reichen fast 30 Jahre zurück, als man sich noch etwas nihilistisch "Keine Ahnung" nannte und erste wütende Tracks auf Samplern veröffentlichte. Alle zwei bis fünf Jahre legten die Jungs aus NRW ein neues Album nach – und nach dem 2021 erschienenen "Weiter weiter" zeigen sie auf "Molotov Zitrone" eindrücklich, dass man Punkmusik heute durchaus noch braucht. Man gibt sich insgesamt zwar etwas kumpelig und nennt die Bandmitglieder nur bei ihren Vornamen (Thomas, Mole, Kai, Dennis und Jan), doch ansonsten kann man dieser Band wenig am Zeug flicken, denn sie bedienen das Genre weitgehend stilsicher, glaubwürdig und kompetent.
Was an dieser Platte besonders Spaß macht: Sie knallt, sie brettert, sie kachelt. Und sie geht so richtig nach vorne – was vor allem dem versierten, flinken und timingsicheren Drummer zu verdanken ist, der mit stakkatoartig-präzisem Spiel und reichlich Muskelkraft das Ganze musikalisch zusammenhält. Im Opener "Schöner scheitern" gibt's sogar musikalisch Anklänge an das Frühwerk von Bad Religion ("Against the grain"), der Folgetrack "Staub" bringt rumpelige Gitarren und düsteren Gesang, wie man es damals bei EA80 schätzte – auf der anderen Seite geizen Fahnenflucht aber auch nicht mit herrlich stumpfen, aber präzise ausgearbeiteten Stoner-Riffs ("Tag der Rache"), bei denen Drummer Jan standesgemäß Achtelnoten aufs Crashbacken ballert. Textlich gibt's klare Kante, nämlich deutliche Bekenntnisse gegen Rechts und ätzend-zynische Seitenhiebe auf die Macht der sich als "soziale" Netzwerke gerierenden Datenkraken. Da darf dann auch mal geschmunzelt werden, wenn im Intro zu "Bildschirmzeit" gefragt wird: "Alexa, wann ist der nächste Krieg?" – und die Maschine nach kurzer Bedenkzeit kühl antwortet: "Sobald wir genug Informationen gesammelt haben."
Neben archetypischen Eins-zwei-drei-vier-Haudraufnummern gibt es aber auch das eine oder andere Experiment, was für einen abwechslungsreichen Flow sorgt. In "Unterm roten Stern" gniedelt eine Balalaika, in "Die Letzten" werden Neue-Deutsche-Welle-Klanglandschaften zitiert – und das insgesamt stärkste Stück "Wache an der Überlastungsgrenze" stünde auch Turbostaat nicht schlecht zu Gesicht. Wenn Punk anno 2024 so gekonnt daherkommt, dann kann man nur gratulieren.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Wache an der Überlastungsgrenze
- Tag der Rache
- The great reset
Tracklist
- Schöner scheitern
- Staub
- Tag der Rache
- Mit Dir okay
- Kollektivschlaf
- Bildschirmzeit
- Krieg im Kopf
- Härter zusammen
- The great reset
- Wache an der Überlastungsgrenze
- Unterm roten Stern
- Die Letzten
- Im Zweifel für den Zweifel
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Armin
2024-09-07 10:19:18- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Fahnenflucht - Molotov Zitrone (1 Beiträge / Letzter am 07.09.2024 - 10:19 Uhr)