Mercury Rev - Born horses
Bella Union / Rough TradeVÖ: 06.09.2024
Lebe nicht Dein Leben, träume Deinen Traum
Kurzer Blick aus dem Fenster: Ist es draußen noch hell? Falls ja, dann bitte weiterklicken zum nächsten Album, denn "Born horses" funktioniert tagsüber einfach nicht, so viel sei schon mal vorab angemerkt. Nun waren Mercury Rev eh noch nie ausgemachte Verfechter der Lebenstüchtigkeit oder gar putzige Gutelaune-Bären, vielmehr ziehen sich Melancholie und die Hinwendung zum Magisch-Abgründigen von Anfang an durch das gesamte Werk der in Buffalo, New York gegründeten Band. Da macht auch das neue Album keine Ausnahme, es erklimmt jedoch in Sachen Pomp und Pathos ganz neue Höhenzüge.
Der Opener "Mood swings" zeigt gleich die Richtung auf, in die – fast – das gesamte Album spaziert. Disparate Mariachi-Trompeten mit viel Hall, flirrende Schlagzeugbecken, Vibrafon und Synthesizer eröffnen eine weite und flächige, getragene Klanglandschaft, über die Jonathan Donahue im eigentümlichen Sprechgesang mantra-artige Textzeilen legt. Das hat Stimmung, das hat Atmosphäre, das erinnert in seiner Eindringlichkeit an die besten Momente von Current 93 und zieht einen sofort ins Album hinein. Und so geht es nahtlos auch im nächsten Track "Ancient love" weiter: Auch hier wird dem Hörer ein musikalisches Vollbad mit reichlich Schaum und allerlei farbenfrohen Badezusätzen geboten, allerdings rhythmisch etwas lebhafter als im ersten Stück, denn hier unterlegt der Drummer die traumwandlerische Atmosphäre mit leichten Samba-Anleihen. Komische Mischung, funktioniert aber.
Wäre man jetzt mäkelig, müsste man sagen: "Und dann kommt nicht mehr viel." Es ist nämlich so, dass sich ausnahmslos alle Titel des Albums in reichlich schwelgerischen und zu wenig strukturierten Soundlandschaften ergehen. Und bedauerlicherweise zieht sich auch der Sprechgesang bis auf wenige Ausnahmen konsequent durch "Born horses". Das wiederum wird noch angedickt durch eine außerordentlich ambitionierte Produktion, wo permanent irgendwo etwas glitzert oder funkelt; ja, die Producer kippen über fast jeden Song ein gerüttelt' Maß an Feenstaub und eimerweise Hall. Was zunächst noch durch sinister-nächtliche Atmosphäre beeindruckt, erweist sich im Verlauf des Albums zunehmend als ermüdend, weil darunter zu oft kaum greifbare Songstrukturen liegen. Das ist insofern schade, als dass Mercury Rev auch anders können. Der stärkste Moment dieser Platte ist der, in dem der Schlagzeuger nach einer geschlagenen halben Stunde in "Everything I thought I had lost" endlich mal von der Kette gelassen wird und sein Set lustvoll verprügelt – und dem verhallten Klangsumpf aus Synthies, Pianos, Blechbläsern und sonstigem Gedengel so richtig was entgegensetzt. Und völlig überrascht stellt man dann ausgerechnet im letzten Stück "There's always been a bird in me" fest, wie toll, energetisch und nach vorne treibend diese Band doch eigentlich spielen kann.
Zurück bleiben gemischte Gefühle: Mercury Rev sind auf "Born horses" ausgerechnet dann besonders stark, wenn sie die im Opener eingeschlagene Richtung verlassen – wenn also Songstrukturen erkennbar werden oder sogar gesungen statt gesprochen wird, wie in "A bird of no address". Da all dies erst im letzten Albumdrittel stattfindet, entsteht ein etwas zerfaserter Gesamteindruck. Am Ende entscheidet die Hörsituation: Nachts auf leeren Landstraßen bei einem durch die Windschutzscheibe lugenden Sichelmond kann man "Born horses" durchaus genießen. Bei Licht betrachtet würde man sich hingegen etwas mehr Reduktion wünschen. Und selbst dann wären Mercury Rev noch meilenweit vom Minimalismus entfernt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Mood swings
- Everything I thought I had lost
- A bird of no address
Tracklist
- Mood swings
- Ancient love
- Your hammer, my heart
- Patterns
- A bird of no address
- Born horses
- Everything I thought I had lost
- There's always been a bird in me
Im Forum kommentieren
Gordon Fraser
2024-09-06 19:46:48
Der Sprechgesang ist allerdings nichts für mich.
Dito. Die musikalische Grundierung ist nett, aber die Vocals sind mindestens schräg auf eine unangenehme Art.
Mr Oh so
2024-09-06 18:36:24
Man muss ihnen zugutehalten, dass sie immer wieder neue Wege gehen. Der Sprechgesang ist allerdings nichts für mich.
Hierkannmanparken
2024-09-06 13:18:15
Ich finde es auch besser als gedacht! Mood Swings ist ein großer Favorit von mir. Und musikalisch ist das zum sich drin Verlieren.
MickHead
2024-09-06 12:46:48
Weitere hevorragende Rezensionen:
Musikexpress 5/6
https://www.musikexpress.de/reviews/mercury-rev-born-horses/
Gaesteliste:
https://www.gaesteliste.de/review/show.html?id=66dac78330024087&_nr=22751
The MACHINA of God
2024-09-04 15:08:51
Kritik war an der etwas niedrigen Bewertung gerichtet, die im Gegensatz zu den anderen sehr positiven Rezensionen etwas abfällt.
Aber wieso ist es denn zu kritisieren, wenn eine Wertung niedriger ist als andere? Ist das nicht einfach die Meinung des Schreibenden? Genauso wie jene anderen? Die 9/12 ist zudem rechnerisch näher and der 6/10 als an der 5/5, also müsste hier ja die Kritik an Louder Than War gehen, da die es sich erlauben, in einem anderen Bereich zu agieren. :)
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