Zeal & Ardor - Greif
Redacted / The OrchardVÖ: 23.08.2024
Auf Teufel komm raus
Ein Konzept im Konzept? Zeal & Ardor nennen ihr neues Album "Greif" und nehmen damit Bezug auf eine Tradition ihrer Heimatstadt Basel, die ausgezeichnet zu den Avantgarde-Metallern um Mastermind Manuel Gagneux passt. Denn wie deren Crossover-Sound setzt sich das Jahr für Jahr im Januar durch die Stadt tanzende, grausige Fabelwesen aus verschiedenen Teilen zusammen – einem Löwen, einem Raubvogel und einer Schlange. Eine bunt-bedrohliche Mischung, die gleichwohl Neuartiges verspricht: Denn die Schweizer setzen wohldosierte Black-Metal-Spritzen zwar noch an ausgewählten Stellen ein, haben ansonsten aber eine deutliche Stoner-Kante entwickelt. Und, ja, es liest sich zunächst ein bisschen komisch, aber: Zeal & Ardor rocken. Wie – bitte verzeiht – Hölle. "Greif" ist organisch im Proberaum entstanden und entwickelt ein Eigenleben, das den ersten drei Platten zwar auch nicht abgeht, Album Nummer vier aber in eine völlig andere Richtung stößt.
Im Direktvergleich zu dem Inferno, das die Band für gewöhnlich abfackelt, ist "Kilonova" nichts als ein Gerippe – ein knochentrockener, durch entweihten Wüstensand groovender tasmanischer Teufel. Nicht nur hier kommt einem der staubige Robot-Rock von Queens Of the Stone Age in den Sinn. Einen obendrauf setzen Gagneux und Co. in "Disease" mit waschechten Siebziger-Glam-Vibes – zwar immer noch diabolisch, nun aber auch sexy. "What the fuck is going on?", wundert der Sänger sich, und man pflichtet ihm bei, traut den eigenen Ohren kaum. "Sugarcoat" dreht zum gleichen Ansatz den Härtegrad nach oben und landet beinahe im Thrash-Metal, während "Thrill" schlicht hochunterhaltsam und dabei ungewohnt introspektiv nach vorn geht. "For the record I don't feel any more / Baffled by the thrill of it all." Dass man das Basler Projekt auch mal grob unter dem Banner "Alternative" einordnen könnte, war definitiv nicht Teil der ursprünglichen Prophezeiung.
Bei einer "Kilonova" treffen zwei Supernovae aufeinander, bei Zeal & Ardor weiterhin zwei Welten: "Are you the only one now?" führt allgemeinverträgliche Blues-Ballade und wilden Metal-Ritt zusammen – allerdings nicht abwechselnd, sondern gleichzeitig. Schwere Gitarren sind die Devise, wie schon in der grandiosen hymnischen Single "Fend you off", die mit Dreivierteltakt und Glockenspiel glänzt. Eine interessante Beobachtung hierbei ist, dass Gagneux hin und wieder in Klangfarbe und Intonation deutlich an Corey Taylor erinnert. Auch im nackten Geballer von "Clawing out" gemahnt sein charakteristisches "lautes Flüstern" durchaus an die Slipknot-Frontmaske, elektronisches Störfeuer und mehrfache Tempowechsel lassen die unheilvolle Komposition allerdings deutlich komplexer werden als viele der Iowaner. Mit Glitch-Sounds experimentieren Zeal & Ardor neben der klassischen Call-and-Response-Formel auch in "369", einem der Interludes. Die Zwischenspiel-Tradition bleibt ungebrochen – im zweiminütigen Chiptune-Dickicht von "Une ville vide" findet sie zwischen RPG-Märchenwald und sakraler Messe ihren Höhepunkt.
Die soulige Klavierballade "Solace" ist eine herzzerreißende Ruhepause in Moll, die sich langsam zum Epos auftürmt, "To my ilk" entlässt abschließend versöhnlich und zart in die Nacht. Darüber, ob Zeal & Ardor, einst reiner Troll-Move des Sound-Tüftlers Gagneux, ein bloßer "One-trick pony"-Act seien, wurde oft und ausgiebig genug diskutiert – "Greif" beendet die Debatte nun ein für alle Mal mit einem entschiedenen Nein. Nur "Hide in shade", das die schwungvoll-pfiffige Melodie aus dem zirkushaften Intro als Gitarrenlinie wieder ins Spiel bringt, stellt den einzigen klassischeren Track dar und bewahrt sich dennoch den neu entdeckten Drive. Trotz dieser geschickten Klammer ist "Greif" zwar nicht aus einem Guss, entwickelt das Zeal & Ardor-Prinzip aber als eine Art unheiliges Überraschungsei in so viele Ecken fort, dass einem schwindelig wird. Wenn das so weitergeht, ist diese Band auch nach dem nunmehr zweiten Meisterwerk in ihrer Historie noch längst nicht auserzählt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Fend you off
- Kilonova
- Clawing out
- Disease
- Hide in shade
Tracklist
- The bird, the lion and the wildkin
- Fend you off
- Kilonova
- Are you the only one now?
- Go home my friend
- Clawing out
- Disease
- 369
- Thrill
- Une ville vide
- Sugarcoat
- Solace
- Hide in shade
- To my ilk
Im Forum kommentieren
Ralph mit F
2024-08-29 18:34:58
Super Clip zu "Kilonova":
https://www.youtube.com/watch?v=lG9_dFsKwZs
Erinnert mich an "Martyrs". Nur eben mit Greif ;)
nagolny
2024-08-28 02:41:26
Allen verkonsumierten Interviews und Rezensionen nach zu gehen, ist das wohl eine Art Übergangsalbum. Sowas finde ich oft interessant. Überhaupt ist das eine hochinteressante Band.
Hierkannmanparken
2024-08-27 19:52:44
Irgendwie fehlt mir produktionstechnisch der letzte Schliff. Die Gitarren könnten auch ein bisschen fetter sein, besonders in Fend You Off. Wirkt auf mich wie eine etwas lose Ansammlung von Songs.. Dennoch sind mit Fend You Off, Are You the Only One Now, Clawing Out, Sugarcoat und Hide in Shade ein paar Highlights für die Jahresplaylist drauf.
Hierkannmanparken
2024-08-26 17:32:22
Are You the Only One Now gefällt mir auch sehr gut. Melancholischer Song mit Black Metal-Ausbruch. Was für mich etwas totgehört ist, sind die Passagen, die man sich auch gut in einem Red Dead Redemption-Trailer vorstellen könnte, bspw. Go Home My Friend.
The MACHINA of God
2024-08-26 17:22:07
"Sugarcoat" drittes Highlight. Das QOTSA-artige steht Ihnen meist gut.
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