IAMX - Fault lines²
Unfall / Nexilis / The OrchardVÖ: 30.08.2024
Die Nerven nerven
Was darf's sein? Eine Gesprächstherapie? Oder doch Sex unter Drogen auf einer Rave-Party? Im Grunde egal: Laut einer Interview-Aussage von Chris Corner handelt es sich bei beidem um Empfindungen auf derselben Skala. Für den neunten IAMX-Longplayer, den theatralischen Schwippschwager von "Fault lines¹", bietet sich als Äquivalent jedoch erstere Option an. Zumal der inzwischen in Kalifornien lebende Brite an Depressionen und Schlafstörungen litt, was sich gerade bei Gefühlsmensch Corner unmittelbar in seiner Musik widerspiegelt. Bereits der Vorgänger zeigte sich hin- und hergerissen zwischen autistischer Egomanie, Selbstheilung und androgynem Identitäts-Ping-Pong im modularen Gerätepark, und es wäre ein*e lausige*r IAMX-Versteher*in, wer einen Song wie "In bondage" nicht genauso auf seelische Fesseln bezieht. Ganz so einfach ist es mit der "Radical self love" auch auf "Fault lines²" also nicht, wie Corner im opulent aufgeschichteten "Neurosymphony" anhand "my own emotional wasteland" beklagt. Die Nerven nerven.
Doch so muss das sein in diesem mehrdimensionalen Auftakt, der nach synthetisch-orchestraler Ouvertüre ähnlich wie das "Fault lines¹"-Prachtstück "Disciple" knarzig loskickt und in der Folge immer stärker auf die elektronische Marschpauke haut, während Corner gewohnt dramatisch "take my hand" fleht und man ihm beinahe überallhin folgen möchte. Die Schleichwege auf den dunklen Glam-Dancefloor sind nun mal zuweilen unergründlich – doch Hauptsache, sie führen zu dieser schmatzigen Wuchtbrumme. Geradliniger zur Sache kommt "Infiinite fear jets", das die mulmigen Gefühle mit scharfer Basslinie und rhythmischer Gewitztheit kurzerhand wegzappelt und für ordentlich Bewegung im Nachtclub Verzweiflung sorgt. Überkandidelt? Aus Prinzip. Zwingend? Auf jeden Fall. Auch wenn schon bei diesem stürmischen Einstiegsdoppel auffällt, dass Corners Stimme auch für seine Verhältnisse überdurchschnittlich erratisch durch alle Ecken des Stereo-Panoramas schwirrt – freilich ohne die Essenz der Stücke zu verstellen.
Leider geht das hier nicht immer gut – etwa, wenn das rhythmisch unstete "Conflict medication" oder das von einem wallenden Piano durchflutete "War of words" aufgeregt um sich selbst kreisen und nicht recht den Punkt treffen. Die extravagante Vokal-Akrobatik stiftet dabei eher zusätzliche Verwirrung, als einen Ruhepol einzuziehen – besonders vorlaut: "Deathless wilds", wo sich der Gesang gegen eine blecherne Drum-Machine behaupten muss und Janine Gezang angestochene Shouts ins Getümmel streut. Umso pointierter, dass "The ocean" im Duett mit der Isländerin Hafdís Huld zu einer versonnenen Folk-Weise die EBM-Muskeln flext und der Sensenmann selten so hymnenhaft unterwegs war wie im dynamischen Elektro-Popper "Grass before the scythe". Dennoch ist "Fault lines²" samt aller titelgemäßer Verwerfungen ein eher unentschlossenes Album – was IAMX-Versteher*innen allerdings herzlich egal sein dürfte. Ob man zum Psychologen oder in den Techno-Bumsschuppen geht, kann man ja später immer noch entscheiden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Neurosymphony
- Infinite fear jets
- Grass before the scythe
Tracklist
- Neurosymphony
- Infinite fear jets
- Conflict medication
- Deathless wilds
- The ocean (feat. Hafdís Huld)
- War of words
- Grass before the scythe
- Life before death
Im Forum kommentieren
Armin
2024-08-21 10:33:15- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
MickHead
2024-07-13 18:40:24
Neuer Song "The Ocean (Feat.Hafdís Huld)"
https://youtu.be/CApfhB5EYkw?si=Ki-akYIOIMyAVBWJ
MickHead
2024-06-19 21:40:20
Chris Corner aka "IAMX" kündigt für den 30.08. sein neues Album "Fault Lines²" an. Folgt auf "Fault Lines¹" von 2023.
Erster Song "Neurosymphony"
https://iamx.bandcamp.com/album/fault-lines-4
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