Charly Bliss - Forever

Lucky Number / Rough Trade
VÖ: 16.08.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

All that we could do with this emotion

"Charly Rae Jepsen". Diese Verballhornung war mancherorts im Internet als Reaktion auf die Singles von Charly Bliss' drittem Album "Forever" zu lesen. Ein Ausdruck der Enttäuschung vieler Gitarren-Fetischist*innen, die der mit punkigem Indie-Rock und Soft-Grunge gestarteten Band übelnehmen, dass sie den bereits auf "Young enough" eingeschlagenen Weg in Richtung mehr Synths und Glitzer konsequent fortführt. Doch wer versteht, warum ein Song wie "Run away with me" eine solche Euphorie wie kaum ein anderes Klangerzeugnis auslösen kann, weiß auch, dass Carly Rae Jepsen als erste Referenz alles andere als eine künstlerische Bankrotterklärung ist. Trotz oder gerade wegen der unverhohlenen Kantenglättung ist Charly Bliss ein richtig gutes Pop-Album gelungen. Von der Pandemie und privaten Turbulenzen wie Umzügen und Neugeborenen erschöpft, wollten Eva Hendricks und ihre Kollegen in erster Linie Spaß haben, was sie verlustfrei auf ihr Publikum übertragen.

"Once you let me drive the car, you know I'm gonna crash it", schwindelt Hendricks im eröffnenden "Tragic", das seinen Highway aus Synth-Arpeggios und Drumcomputer unfallfrei entlangcruist und sich auch nicht von ein paar manipulierten Riffs beirren lässt. Der Knall erfolgt erst in "Calling you out": Verheißungsvoll pulsiert der Synth-Bass, um sich in einem Dammbruch von Refrain und später einem angedeuteten Gitarrensolo zu entladen. "Hard to believe that you need me / Maybe I'll force you to leave me", heißt es da, doch die Anziehungskraft des Tracks führt zum genauen Gegenteil. Auch "How do you do it" beweist wunderbar das Händchen des Vierers, einen knalligen Popsong standesgemäß aufzubauen, ohne die Hooks und die Energie gleich zu Beginn zu verschleudern. "Here comes the darkness" fährt zwar keinen memorablen Chorus auf, kulminiert dafür aber in einem Tonartwechsel, der alle Zweifel im Pomp ertränkt.

Die Catchiness bleibt auch dann das oberste Programm von Charly Bliss, wenn sie sich wieder mehr einer Rockband-Ästhetik annähern – sie lockern in solchen Momenten allerdings die Zuckerwatten-Atmosphäre etwas auf, wie es etwa "In your bed" mit seinen Akustiksaiten, kleinen Chören und Gated Drums gelingt. An anderer Stelle holt das treibende "I'm not dead" die Neunziger-Gitarren ins Repertoire zurück, bevor "Waiting for you" zu freudentaumelndem Pop-Punk die Freundschaft der Band zelebriert. Im Kontrast dazu beleuchtet "I don't know anything" die frustrierenderen Ecken des Musikerinnenlebens. Mit Spitzen wie "As 90's rock revivalists we're just too late" oder "My face and my hair and my voice is all wrong" giftet Hendricks gegen die Industrie, während ihr die um sie herum brummenden Verstärker den Auftrieb geben, über allem zu stehen – nicht unbedingt erfolgreich, wie sie selbst klarstellt: "I lied, yeah, my fear of rejection is strong."

Unsicherheiten durchziehen das ganze Album, das, wie es sich für ein Pop-Feuerwerk gehört, selbst in einem reduzierten Folk-Liedchen wie "Easy to love you" jedes Gefühl großschreibt. Weder die Cheerleader-Bridge noch die Videogame-Synths können in "Back there now" die Fragezeichen im Kopf der Erzählerin wegwischen: "When you say, you miss me, are you thinking of someone else?" Die Feuerzeug-Ballade "Nineteen", interessanterweise als Lead-Single ausgekoppelt, verklärt dahingegen einen früheren Crush als "face of an angel", bevor sie die Nostalgie mit einem Saxofon-Solo komplett ungehemmt fließen lässt. Ein solches veredelt auch den Closer "Last first kiss", der sich mit dem märchenhaften Größenwahn des Albumtitels nach einer Liebe sehnt, die "Forever" anhält. Nach dem Mond zu greifen und ein herrliches Stück Pop-Käse in den Händen zu halten, ist sicher nicht das schlechteste Ergebnis.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Calling you out
  • I'm not dead
  • I don't know anything
  • Waiting for you

Tracklist

  1. Tragic
  2. Calling you out
  3. Back there now
  4. Nineteen
  5. In your bed
  6. I'm not dead
  7. How do you do it
  8. I don't know anything
  9. Here comes the darkness
  10. Waiting for you
  11. Easy to love you
  12. Last first kiss
Gesamtspielzeit: 36:49 min

Im Forum kommentieren

Saschek

2024-08-31 18:01:26

Mir muss dieser Pop-Quatsch natürlich wieder mal gefallen. Finde es leider gut.

Yndi

2024-08-22 20:01:38

Mmh, hab echt null Problem mit dem Sound (auch, wenn ich Guppy sehr mag), solange dabei Songs wie Hard To Believe oder Capacity bei raus kommen. Die höre ich hier aber leider nicht.

Armin

2024-08-21 10:30:51- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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