Jack White - No name
Third Man / MembranVÖ: 02.08.2024
Slip it in
Was ist der Unterschied zwischen U2 und Jack White? Richtig: das Medium, die Qualität und eine halbe Milliarde Hörer. Als das irische Quartett seinen drölfzigsten Lahmplayer "Songs of innocence" im Jahr 2014 allen iTunes-Nutzern gewaltsam in die Mediathek schob, war der Aufschrei groß. Eine Frechheit, ein Akt der bodenlosen Selbstüberschätzung sei das gewesen – und all das für ein ziemlich zahmes und zahnloses Spätwerk. Ganz anders macht es Jack White. Der ist natürlich von vornherein Vinyl-Verfechter und schmuggelte ahnungslosen Kunden seiner Third Man Record Stores am 19. Juli 2024 eine nur mit "No name" beschriftete, ominöse LP zu ihren Einkäufen. Die entpuppte sich als komplett neues Album von White selbst – Ehrensache, dass dieser durch sein Plattenlabel kurz danach dazu aufrief, das Ding zu rippen und im Netz verfügbar zu machen. Zwei Wochen später ist das Werk zwar immer noch ohne Namen, aber zumindest mit standesgemäß blaustichigem Cover auch offiziell in digitaler Form bei den Diensten Ihres Vertrauens oder Misstrauens veröffentlicht. Der wichtigste Unterschied zu U2 ist aber: "No name" kann nicht nur so einiges, sondern gehört zu Whites besten Outputs überhaupt.
Ein besserer Titel wäre wohl "No shit" oder "No name, no gimmicks" gewesen. Selten hat ein Album so die unverkennbare Essenz eines Künstlers destilliert. Man müsste bis zum selbstbetitelten 1999er-Debüt von The White Stripes zurückgehen, um ein so auf die elementare Basis reduziertes Werk zu hören – und selbst dort gab es Songs wie "Sugar never tasted so good" oder "One more cup of coffee", die auf ihre Weise das Schema durchbrachen. "No name" hingegen hat keine Balladen, keine akustischen Singalongs, keine Instrumentals und – das hebt es besonders von Whites restlicher Solo-Diskografie ab – keinerlei Experimente. Alle Tracks drehen den Verzerrer unterschiedlich weit hoch, entlocken der Gitarre die gesamte Bandbreite von basslastigem Dröhnen bis hin zu ohrmuschelperforierendem Fiepen, und der Gute heult mit seiner Stimme darüber oder gibt den manischen Straßenprediger. "Archbishop Harold Holmes" soll dieser heißen und er gibt solch herrlichen Schwachsinn von sich wie: "You must first bring seven friends / And don't be selfish and keep this all to yourself / And don't eat shellfish."
Sowieso steht in großen Lettern über diesen 13 Songs: Spaß! Ob "That's how I'm feeling" mit einem rasanten Refrain die Piste abwärts fährt, "Bombing out" den fuzzigsten Sound auspackt, den die Polizei gerade noch erlaubt, oder "Underground" ganz feist ein unglaublich eingängiges Melodiemotiv auf den Tisch knallt – völlig egal. Und was White dazu genau ins Mikro jault, eigentlich auch. Große Weisheiten würden die Sause sowieso nur stören. "Do you want to go for walk with me to nowhere?" Yeah, whatever! "No name" ist durch diese Gesundschrumpfung sicher nicht das abwechslungsreichste Album in seiner Vita, gerade im Vergleich zu den letzten, deutlich abgedrehteren Solowerken wie "Boarding house reach" oder "Fear of the dawn". Dieser Fokus ist dagegen die entscheidende Stärke und erlaubt die allmähliche Entfaltung der Songs, indem man eben doch die kleinen Kniffe und Unterschiede bemerkt.
Ganz deutlich wird das natürlich im sehr dynamisch gehaltenen Closer "Terminal archenemy endling", der seinen Radau nicht nur mit interessant quäkenden Field Recordings unterlegt, sondern auch einen etwas persönlicheren Text hat. "Where would I be if I didn't know you / From a factory to a country home? / And what would I have if I never really had you? / What's the point of being free if I'm all alone?", fragt White, scheinbar an seine Frau Olivia Jean gerichtet. Klar, zum Schluss zeigt er, dass er es auch noch sensibel beherrscht – sonst beweist White auf "No name" ja vielmehr, dass er noch genau das kann, wofür er bekannt geworden ist: den Blues auf seinen Kern zu reduzieren und mit ordentlich Wumms und Verzerrung mitreißend vorzutragen. Allen, die in den letzten Jahren gezweifelt haben, ob er das überhaupt noch drauf hat, schüttelt er aus lockerem Ärmel diesen Geistesblitz entgegen. Und das ist auf lange Sicht eh wichtiger als jede originelle Veröffentlichungsstrategie.
Highlights & Tracklist
Highlights
- That's how I'm feeling
- Archbishop Harold Holmes
- Missionary
- Terminal archenemy endling
Tracklist
- Old scratch blues
- Bless yourself
- That's how I'm feeling
- It's rough on rats (if you're asking)
- Archbishop Harold Holmes
- Bombing out
- What's the rumpus?
- Tonight (was a long time ago)
- Underground
- Number one with a bullet
- Morning at midnight
- Missionary
- Terminal archenemy endling
Im Forum kommentieren
kenny23
2024-08-30 15:49:34
https://www.spiegel.de/kultur/musik/jack-white-gegen-donald-trump-denkt-nicht-dran-meine-musik-zu-nutzen-ihr-faschisten-a-10084035-45f8-4cf2-a2f2-89ce106696bd
Felix H
2024-08-22 22:30:17
"White Blood Cells" auch klar drüber.
Würde es dann in eine Riege mit "De Stilj" und "Get Behind Me Satan" stecken.
Auf jeden Fall irgendwie näher an einem Stripes-Album als Jack White solo ansonsten.
Rote Arme Fraktion
2024-08-22 18:53:53
Elephant natürlich nochmal über dem hier, aber ansonsten sehe ich da tatsächlich nichts was besser wäre.
The MACHINA of God
2024-08-22 15:04:29
"Archbishop" ist ganz geil. So komplett meine Musik ist es nicht, aber irgendwie macht es Spaß.
Bei rym übrigens bei 3.78 nach rund 3.700 Ratings derzeit übrigens sogar über jedem White Stripes-Album.
juwe82
2024-08-16 17:49:50
Ja, wenn ich berührende Musik hören möchte leg ich die neue Jack White auf...Ehrlich jetzt, soll das ein Kritikpunkt sein? Ich höre das Album und erfreue mich an der Rifflastikkeit, dem Blues und all dem Zeug, was man bei ihm erwarten kann...finde im übrigen auch nicht, dass es nachlässt sondern durchgängig fetzt und spaß macht. Hätte ich im übrigen auch nicht erwartet, da mich JW/ White Stripes/ Raconteurs (tatsächlich am meisten) bislang eher am Rande interessierte. Aber das hier funktioniert...
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