Deep Purple - =1

Ear / Edel
VÖ: 19.07.2024
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Der Nesthaken

Im Jahr 1979 waren Deep Purple in alle Winde zerstreut. Nach jahrelangen internen Querelen hatten die Gründungsmitglieder Jon Lord und Ian Paice die Band drei Jahre zuvor aufgelöst und sich David Coverdale bei Whitesnake angeschlossen. Gitarrist Ritchie Blackmore war eh längst ausgestiegen und schaute sich mit Rainbow die Charts von oben an, während sich Ian Gillan und Roger Glover an Soloalben versuchten. Im selben Jahr, am 29. April, kam in Belfast ein gewisser Simon McBride zur Welt. Dass Deep Purple 45 Jahre später nicht nur längst wieder vereinigt sind, sondern auch den ungezählten Frühling ihrer Karriere verbuchen, war also nicht wirklich zu erwarten. Dass McBride nach dem Rücktritt von Steve Morse seit 2022 der Gitarrist der in guter Deep-Purple-Tradition "Mark IX" genannten Besetzung ist, schon mal erst recht nicht.

Lassen wir trotzdem einmal Witzeleien über den Altersunterschied zum Rest der Band gar nicht erst aufkommen. Denn die Briten lassen von Anfang an keinen Zweifel, dass sie auch mit dem 23. Studioalbum mit dem etwas kryptischen Titel "=1" ihre aktuelle Erfolgswelle weiter zu reiten gedenken. "Show me / What you got there / What you got behind your back" sind die ersten Zeilen des Openers "Show me", und der Swing, der elegante Groove, der den Bandsound spätestens seit dem Album "Now what?!" und dem Engagement von Produzent Bob Ezrin auszeichnet, ist sofort wieder da. Das folgende "A bit on the side" prügelt derart heftig voran, dass man sich glatt nochmal die Geburtsurkunden der Herren Musiker zeigen lassen möchte. Doch, tatsächlich, sie sind wirklich so alt und nicht durch eine KI ersetzt worden. Besonders McBride ist es, der seinen Kollegen, die allesamt seine Väter sein könnten, mächtig einheizt.

Das kann Keyboarder Don Airey so natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und so pfeffern sich die beiden Herren bei "Sharp shooter" erstmals durch eines dieser legendären Keyboard-Gitarren-Duelle und stehen dabei ihren Vorgängern in nichts nach. Alle wach geworden? Dann weiter Vollgas. Herrje, was sind "Portable door" und "Old-fangled thing" bitte für Kracher? Erst recht mit dem grandiosen, erdigen, fast wie eine Live-Aufnahme klingenden Sound von Ezrin, der als Stream mit niedriger Qualität eigentlich eine Sünde ist und nach passendem Equipment förmlich schreit. Und dass Simon McBride endgültig vom Ersatzmann zum vollwertig integrierten Bandmitglied aufgestiegen ist, zeigen seine wunderbaren Soli zu "If I were you" und "I'll catch you" – dass der Nordire seinen Landsmann Gary Moore zu seinen Vorbildern zählt, ist spätestens jetzt keine Überraschung mehr.

Wenn wir schon mal im Zeitreisefieber sind: "Lazy sod" springt noch eine Dekade weiter, nämlich zurück in die Siebziger, und entführt den Groove von "Strange kind of woman" vom Album "Fireball" kurzerhand in die Neuzeit, während Gillan bei "Now you're talking" tatsächlich noch Schreie aus den fast 79 Jahre alten Stimmbändern presst, als wollte er "Speed king" neu einspielen. Was für ein Feuerwerk, was für eine Spielfreude, was für ein Ausrufezeichen mit dem nicht minder großartigen "Bleeding obvious" als krönenden Abschluss. Käme diese Platte von einer Gruppe Mittzwanziger, wir würden von einem wunderbaren Retro-Album sprechen. Hier aber sind Legenden am Werk, in einem für Rockmusiker geradezu biblischen Alter, und feuern ein Album mit einer Klasse ab, als wollten sie ihrem neuen Kollegen beweisen wollen, dass die Geriatrie noch weit entfernt ist. "=1" als Alterswerk zu bezeichnen, wäre fast schon beleidigend – dies ist ein Album, an dem sich Hardrock-Bands aller Altersgruppen für eine Weile die Zähne ausbeißen dürften. Erst recht, wenn es die Dritten sind.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • A bit on the side
  • Old-fangles thing
  • If I were you
  • Lazy sod

Tracklist

  1. Show me
  2. A bit on the side
  3. Sharp shooter
  4. Portable door
  5. Old-fangled thing
  6. If I were you
  7. Pictures of you
  8. I'm saying nothin'
  9. Lazy sod
  10. Now you're talkin'
  11. No money to burn
  12. I'll catch you
  13. Bleeding obvious
Gesamtspielzeit: 52:11 min

Im Forum kommentieren

Saschek

2024-08-03 19:54:16

Ich darf mich nun ebenfalls einer Lobeshymne hingeben. Habe DP bisher als verstaubtes Relikt der 70er und 80er wahrgenommen. Dafür schäme ich mich angesichts dieses äußerst lebendigen Albums massiv. Eines der großen Alben des Jahres für mich. Hier braucht die Qualität des Werks nicht herbei- oder schöngeredet werden. Und es braucht auch keine selbsterstellte Playlist, damit das Album "gut" wird. Das hier *ist* einfach gut. Da kommt Gefühl aus den Boxen. Nichts ist zu viel oder aufgesetzt. Macht von Anfang bis Ende Spaß. Chapeau! Bin ziemlich begeistert.

Herr

2024-08-02 14:16:43

Achtzig-Ziger sind diejenigen, die zig-mal neuen DP Output mit dem famosen 80er Album „Perfect Strangers“ abgleichen, wie die meinige Wenigkeit der Herr.

Und hält kommt das neue =1 durchaus gut mit.

Felice

2024-08-02 13:29:51

was sind achtzig-ziger?

8chtzig?

noise

2024-08-02 12:46:56

Muss zugeben, dass ich mich mit seit den 80zigern nicht mehr mit DP Veröffentlichungen beschäftigt habe. Diese hier aber, aufgrund der guten Kritiken, mal durchgehört. Bin überrascht wie gut das alles so klingt. Ist zwar nicht mehr unbedingt mein Sound aber Respekt und Anerkennung für die "alten" Herren für diese Leistung. Nötig - finanziell und Historisch - hätten Sie es bestimmt nicht.

Mr Oh so

2024-08-01 23:48:19

Wie bereits geschrieben, schließe ich mich den Sympathiebekundungen gerne an. Auch bei mir läuft das Album ab und zu. Aber eine 8/10 - ein Meisterwerk? Das ist mir doch etwas zu hoch gegriffen. 6/10 - also ein "gutes Album" im PT-Kosmos würde imho passen.

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