86TVs - 86TVs

Parlophone / Warner
VÖ: 02.08.2024

Mehr als der Moment

Es wäre frech zu behaupten, dass 86TVs die neuen The Maccabees sind. Allerdings legen die Haupt-Protagonisten Hugo und Felix White diesen Vergleich mehr als nahe, denn die Brüder zogen einst auch die Strippen bei jener UK-Truppe, die sich 2017 kurz nach dem forbidablen letzten Album "Marks to prove it" auflöste. Nach den Abschiedsshows im Alexandra Palace zu London hätte man eine Auszeit erwartet, doch die gab's nur oberflächlich betrachtet. Ganz bald schnappten sich die White-Brüder ihren jüngeren Bruder Will und nahmen gemeinsam neue Ideen und erste Song-Skizzen auf. Spruchreif war das Projekt 86TVs aber erst weit später, als der ehemalige Stereophonics-Schlagzeuger Jamie Morrison hinzustieß.

Bis 2023 dann mit "Worn out buildings" erste Musik erschien, verging also noch einige Zeit, da sich die noch junge Band selbst keinen Druck machen wollte. Hugo war Vater geworden und arbeitete als Produzent unter anderem für Jamie T und Jessie Ware. Felix betrieb sein eigenes Plattenlabel Yala! und probierte sich als Radiomoderator bei der BBC aus. Das Freimachen von vielem, was war, das Sich-Ausprobieren hält zu großen Stücken in den Sound von 86 TVs Einzug. Gleich im ersten Drittel gibt's viel Unterschiedliches zu entdecken. Klassischen Brit-Sound mit "Days of sun", der durch Morrisons anprechendes Drumming pulsiert, Tanzbares wie "Higher love", das zu den aktuellen James hinüberblinzelt. Und mit dem tollen Opener "Modern life" eine wunderbar folkig angehauchte Indie-Hymne, die zwischendurch schon mal kräftig auf dem Gaspedal steht – auch, um dem selbstbewussten Rocker "New used car" die Überholspur zu ebnen. "Nothing lasts forerver / Gotta live for today" intonieren 86TVs mit Inbrunst. Joa.

Was dieses Quasi-Debüt so konsistent wirken lässt, ist nicht nur das Talent aller Beteiligten, tolle Songs zu schreiben, sondern auch die gelebte Selbstverständlichkeit, alles gemeinsam zu tun: Nachdem die Band sich nicht schlüssig war, wer nun die passende Stimme zum 86TVs-Sound hat, nahm man die meisten Songs kurzerhand mit allen Stimmen auf: Jeder singt, mal zu zweit, mal zu dritt. Manchmal auch alle zusammen, famos gelungen etwa in "Pipe dream" und im zweiten Teil von "Worn out buildings", das in Sachen feiner Dramaturgie einem anderen bekannten Brüder-Paar über die Schultern schaut: den Butlers aus Kanada.

Natürlich erinnert das hin und wieder an The Maccabees, doch während Letzteren neben Wucht häufig Akribie und Anspruch zu besonderer Atmosphäre verhalfen, sitzt das Klang-Kostüm bei 86TVs etwas legerer auf den Hüften. So kommen mit "Spinning world" und "Dreaming" die leiseren, atmosphärischen Momente gewiss nicht zu kurz. Doch immer wieder dürfen auch die Gitarren wie in "Someone else's dream" und dem kleinen Feger "Tambourine" ausgiebig jaulen und schrubben, während "A million things" durch sein druckvolles Drumming zur coolen Britrock-Perle wächst. Ein Kompliment, das man "86TVs" auch im Gesamten machen möchte. Nach einem Moment klingt das Album nicht. Eher nach einem Versprechen für die Zukunft.

(Eric Meyer)