American Aquarium - The fear of standing still
Losing Side / Thirty TigersVÖ: 26.07.2024
Some country from old men
Der 31. August 2013 hat ein Leben neugestartet. An jenem Samstag im US-Bundesstaat North Carolina machte ein Mann namens B.J. Barham Schluss. Einfach so. Es ging nicht mehr anders. Denn: Wieder einmal hatte Barham es nicht geschafft, ohne Grundpegel in die Gänge zu kommen. Einmal mehr hatte er eine halbe Flasche Whisky gekillt, noch bevor eine einzige Uhr in Carolina zwölf schlagen konnte. Barham war außer sich. So konnte es nicht weitergehen. Er war gerade mal dreißig und auf bestem Wege, die Vierzig in einer Holzkiste auf dem Friedhof zu feiern. Tränen verkniff sich der Amerikaner. Den Alkohol ab sofort auch. Zielstrebig. Wie in seinen Songs, die schon früh Geschichten erzählten. Etwa von grimmigen Farmergesichtern auf Tabakplantagen. Vom Alltag der Arbeiterklasse im Südosten der USA. Und allgemein vom Kampf, der sich Leben nennt.
Elf Jahre, eine Hochzeit und mehrere Band-Besetzungswechsel später muss es aus Barham raus. Zu lange hatte er geschluckt und schlucken müssen. Das Mikrofon hat er bereits im Blickfeld. Sein Schlagzeuger hat die ersten Takte angezählt, sein Spezialist an der Pedal Steal jault, die Restband ist auf einen Schweinsgalopp von Countrypunk eingestiegen. Nach ein paar Rahmen-Zeilen über Geburts-, Herz- und Sturzschmerzen legt Barham dann los: "The sermon of your tears are merely preaching to the choir / Life is pals with pain / It's okay to be a crier." Der Star ist die Botschaft: Auch Jungs dürfen weinen. Robert Smith würde das verstehen. Und toxische Männlichkeit kann beide sowieso mal dort knutschen, wo die Sonne nicht scheint.
So verhältnismäßig aufgewühlt hat man American Aquarium selten erlebt. Es ist der Start in eine Platte, die dann doch wieder die Kurve kriegt. Die sich nur eingangs mal kurz Luft verschaffen muss. Gleich mehrmals auf "The fear of standing still" verarbeitet Barham Fourty-Something-Lebensrealitäten: Gedanken zwischen Touren und Heimkommen, Fern- und Heimweh, Familie und Fans. "Sometimes I'm just a stranger with a suitcase on the floor / my clothes don't even go into the dresser anymore", klagt er im Stück "The getting home". "There will always be another song to sing, another show to play / Don't go, please stay", singt er im Titelsong der Platte. Die Gitarren heulen mit, ein Klavier stimmt die Nummer harmonisch.
Selbst im Wissen, dass sich hier ein Mensch windet: Selten klang Zerrissenheit schöner. Heimweh, das wie Fernweh klingt. Oder umgekehrt. Und wenn Barham in "Messy as a magnolia" seiner Frau für die Unterstützung dankt, dann kapitulieren bereits früh auf diesem Album die ersten Berührungsängste. Ein andermal reflektiert der Amerikaner mit seiner Band zu den hübschesten Harmonien, seit es Country gibt, die Endlichkeit des Seins. Und greift dafür noch einmal ganz tief in die Intimitäten-Kiste. Alle lässt er sie dafür noch einmal auflaufen: den Vater, die Großmutter. Und hintenraus gar Dale Earnhardt, den 2001 verunglückten NASCAR-Fahrer. Das Ergebnis ist ein Barham-Song, wie ihn nur Barham schreibt. Und deshalb hier ohne weiteren Vorabspoiler. "When I'm home I miss the road / But when I'm on the road I miss it all", meint der rastlose Country-Poet auf dieser Platte einmal. Kenner seiner Geschichte sowie Geschichten wissen genau, was er damit meint. Der Rest? Sollte sie sich hiermit endlich erzählen lassen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Crier
- The curse of growing old
- The fear of standing still
Tracklist
- Crier
- Messy as a magnolia
- Cherokee purples
- The getting home
- Southern roots
- The curse of growing old
- The fear of standing still
- Piece by piece
- Babies having babies
- Head down, feet moving
Im Forum kommentieren
RandomChance
2024-10-07 07:38:04
Den Amigos-Freunden und Coldplay-Ultras, die Plattentests besuchen, scheints immer weniger zu gefallen.
Könnte natürlich auch Joachim Witt sein, der hier aus Frust wahllos Reviews bombt. :-)
diggo
2024-10-06 20:28:15
Gerade wieder aufgelegt. Immer noch fantastisch. Bisher mein Album des Jahres. Und „Cherokee Purples“ der Song des Jahres.
RandomChance
2024-08-12 07:31:10
5/10-Leserwertung.
Plattentrolle. Weltkulturenterben!
tjsifi
2024-08-10 05:48:17
Tolles Album! Bin gerade mit der Familie im Camper in Kalifornien unterwegs und das Ding läuft seit 2 Tagen in Dauerschleife.
berti
2024-07-23 22:05:23
Ich fand das letzte Album irgendwie nicht so prall. Ich freue mich nach den ersten drei Songs und der Rezi hier aber echt aufs neue Album. Kann nur gut werden
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- American Aquarium - The fear of standing still (9 Beiträge / Letzter am 07.10.2024 - 07:38 Uhr)