Linda Thompson - Proxy music

Storysounds / Bertus
VÖ: 21.06.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

In Vertretung

Gemeinsam mit ihrem damaligen Partner Richard Thompson gelangen Linda Thompson in den Siebzigern und frühen Achtzigern einige der größten Perlen der britischen Folkmusik überhaupt. Besonders "Shoot out the lights", eine berührende Auseinandersetzung mit Liebe und Verlust, die 1982 den Schwanengesang sowohl für die musikalische als auch die private Verbindung der beiden bilden sollte, sei an dieser Stelle unbedingt empfohlen. Als Solokünstlerin war Thompson aufgrund einer seltenen Krankheit, die ihr das Singen und teilweise auch das Sprechen zunehmend unmöglich macht, seit 2013 nicht mehr in Erscheinung getreten. Nun ist sie zurück und bringt mit "Proxy music" nicht nur eine große Schar an Sängerinnen und Sängern mit, die ihr quasi als Proxies die Stimme leihen, sondern auch eine schöne Anspielung auf Bryan Ferrys legendäre Kombo. Auch das Cover ist eine herrliche, augenzwinkernde Parodie auf die Pin-Up-Titelgestaltung von Roxy Musics Debütalbum.

Thompsons Sohn Teddy ist Produzent und gemeinsam mit seiner Mutter auch Co-Autor der meisten Stücke auf "Proxy music", das auch an vielen weiteren Stellen als erweitertes Familienprojekt gelten kann. Gleich im starken Opener "The solitary traveller" lässt Tochter Kami ihre Stimme erklingen. Der sanfte Walzer mutet zunächst etwas melodramatisch an, wandelt sich dann jedoch zu einer emphatischen Feier der Selbstbestimmtheit im Einzelgängertum: "No man to be had / You're wrong as can be boys, I'm solvent and free boys / All my troubles are gone." Den lyrischen Gegenpunkt über Vergänglichkeit und den Herbst des Lebens bietet das herzzereißende "I used to be so pretty", bei dem Richard Thompson die Gitarrenparts beisteuert und das auch auf einem frühen Album des Duos eine gute Figur gemacht hätte. Ähnlich sehnsuchtsvoll, ohne je der Kitschgefahr anheim zu fallen, singt Martha Wainwright in "Or nothing at all" über eine unerwiderte Liebe. Auch ihr Bruder Rufus ist in der wunderbar flamboyanten Kabarett-Jazz-Nummer "Darling this will never do" mit von der Partie, und es zeugt von Thompsons Variabilität als Songwriterin, dass sie beiden Geschwistern so unterschiedliche Songs so gekonnt auf den Leib schneidern kann.

The Proclaimers betrauern mit gelungener Gravitas in "Bonnie lass", das auch ein uraltes, schottisches Traditional sein könnte, eine längst verlorene Liebe (für die sie vielleicht einst viele Meilen gelaufen waren?). Das sparsam arrangierte "Mudlark" mit The Rails klingt ebenso nach im besten Sinne altmodischem Folk. Auch hier sind wieder Familienbande am Werk: The Rails bestehen aus Kami Thompson und ihrem Ehemann James Walbourne, der zuletzt auch das jüngste Album von The Pretenders veredelte. Ein besonderes Schmankerl ist der Meta-Moment "John Grant" über John Grant, den kein anderer als der Ex-The-Czars-Frontmann John Grant intoniert. Bittersüß und lyrisch pointiert geht es hier um die großen und die kleinen Momente zwischenmenschlicher Beziehungen aller Art: gemeinsamer Pralinengenuss, Bäume umarmen, aber auch der Tod eines Elternteils. Die für das sonst sehr traditionell instrumentierte Album ungewöhnlichen und sehr prominenten, schwebenden Synthieflächen schlagen eine Brücke zu Grants eigener, ebenfalls großartigen aktuellen Platte "The art of the lie". Zum Abschluss feiert "Those damn Roches" durchaus selbstreferenziell die großen Clans der Folkmusikgeschichte: Die Roches, die Wainwrights und natürlich auch die Thompsons werden da namentlich genannt. Der Song kulminiert in einem Singalong-Refrain, der auch den Geist des Albums insgesamt und Linda Thompsons trotz aller Widrigkeiten gerade eben nicht verstummte Kreativität auf den Punkt bringt: "Bound together in blood and song, who can break us? / When we are singing loud and strong, who can take us?"

(Michael Albl)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The solitary traveller (feat. Kami Thompson)
  • I used to be so pretty (feat. Ren Harvieu)
  • John Grant (feat. John Grant)

Tracklist

  1. The solitary traveller (feat. Kami Thompson)
  2. Or nothing at all (feat. Martha Wainwright)
  3. Bonnie lass (feat. The Proclaimers)
  4. Darling this will never do (feat. Rufus Wainwright)
  5. I used to be so pretty (feat. Ren Harvieu)
  6. John Grant (feat. John Grant)
  7. Mudlark (feat. The Rails)
  8. Shores of America (feat. Dori Freeman)
  9. That's the way the polka goes (feat. Eliza Carthy)
  10. Three shaky ships (feat. The Unthanks)
  11. Those damn Roches (feat. Teddy Thompson)
Gesamtspielzeit: 39:52 min

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Perfect Day

2024-07-23 13:00:22

9/10… finde es außergewöhnlich schön. Kriegt mich total, ohne das jetzt besonders ausführen zu können.

Armin

2024-07-22 20:27:21- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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