
Goat Girl - Below the waste
Rough Trade / Beggars / IndigoVÖ: 07.06.2024
Perlentauchen auf der Müllhalde
Goat Girl räumen auf. Bei aller Vertracktheit war schon das zweite Album "On all fours" deutlich darum bemüht, hörbare Schneisen ins chaotische Dickicht zu schlagen. Mit überschaubarem Erfolg. "Below the waste" treibt es mit der Struktur weiter und taucht die bunte Klangwelt zudem in ein fahles Dämmerlicht, wodurch sich eine prickelnde Kühle über weite Teile der insgesamt 13 Songs und drei Pre- beziehungsweise Interludes legt. Exemplarisch zeigt sich diese atmosphärische Verschiebung in "Motorway", einer somnambulen Dreampop-Hymne zwischen Traumwelt und Wachzustand. Eine endlose Nachtfahrt, der Zeit entrückt, schwerelos. "Moving to a better place"? Nur bedingt. Eher Bewegung in Stillstand. "Slow lane drifters / Past time listeners / Called out shotgun / Motion sickness / Road to nowhere / Doesn't matter / Are we staying / Won't stop driving." Nun wäre es aber ganz falsch, in diesem vor feinen Einfällen übersprudelnden Album so etwas wie ein Gefühl stumpfer Resignation ausmachen zu wollen. Eine politische Band sind Goat Girl auch deshalb, weil sie im Schlamm und Dreck unserer Gegenwart nach Momenten von Schönheit suchen. Und sei das, was sie da finden, noch so unwahrscheinlich oder beschädigt. So gesehen ist "Below the waste" ein zutiefst hoffnungsvolles Stück Musik. Trotz allem.
Denn hässlich ist's ja ohnehin nahezu überall. Die Gründe sind bekannt. Vor dieser Folie des Schlechten sollen sich die Hörer*innen von "Below the waste" eine Welt vorstellen, in der Strukturen der Unterdrückung aufgebrochen werden und eine Gesellschaft die Freundschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl feiert, wie das Londoner Trio Lottie Pendlebury, Rosy Bones und Holly Mullineaux auf seiner Website schreibt. Eine Utopie, die nicht in grellen Farben auftrumpft, sondern sich eher behutsam annähert und nie ganz offenbart. Ein zaghaftes Aufscheinen. Besonders die zweite Hälfte von "Below the waste" zeichnet sich durch eine zurückgenommene Stimmung aus, die in den beiden "Motorway" umrahmenden Songs ihren Höhepunkt findet. "Tonight" ist eine skizzenhafte Folknummer, die gerade in ihrer Zurückhaltung eine enorme Wirkung entfaltet. Dazu eine Stimme, so nah und zerbrechlich. Keine Distanz. Nichts, das uns trennt. Und "Take it away" fließt sanft dahin, getragen von Pianoakkorden und manövrierend auf flirrend-quietschendem Untergrund, während sich mehrstimmig auftürmender Gesang mantraartig die (Un-)Möglichkeit von Heilung beschwört. "Oh if I could / I take it away from you". Aber das ist längst noch nicht alles. Ist man erst einmal eingelullt, setzt das von Streichern umspielte "Pretty faces" nämlich gleich den nächsten, wohlgemerkt leisen Akzent. Erstmals kracht es auf Albumhälfte zwei dann am Ende von "Perhaps". Und auch "Sleep talk" verglüht nach ruhigem Beginn in aufbrausenden Noise-Gewittern, bevor "Wasting" den Schlusspunkt setzt.
Weniger zurückhaltend lassen es Goat Girl zum Auftakt angehen. Über einem knirschenden Riff holpert und stolpert "Ride around" nach vorn. Unterbricht sich selbst. Weiter geht's. Bezeichnend, dass auch der raue Opener, zusammen mit "Motorway" eine von zwei Vorab-Singles, das Motiv des In-Bewegung-Seins aufgreift. Und anwendet auf den Bereich des Zwischenmenschlichen. "The way it goes, I think you're kinda gross / Me and you, I think we could be close / Let out all there is to hide / I catch a glimmer in your eyes / Run round doing circles all the time / Let's be messy in the evenings." Doch der härteste Brocken auf "Below the waste" ist zweifelsohne "Tcnc". Grime und Industrial, Wut und Verzweiflung bilden einen galligen und aufpeitschenden Klumpen, der im nahtlos anschließenden "Where is your <3 " seine hypnotische Fortsetzung findet. Noch bevor die dunklen Gewitterwolken aufziehen, lassen Goat Girl mit dem luftigen "Words fell out" aber einen kurzen Augenblick zum Atemholen. Und es sind nicht zuletzt diese großen Spannungsbögen im Zusammenspiel mit den vielen kleinen Details, der vielfältigen Instrumentierung und einem mehr als souveränen Songwriting, die "Below the waste " so groß machen. Album Nummer drei ist ein Schritt nach vorn, ja. Aber ein Schritt nach vorn, ohne all das auf den Müll zu werfen, was "On all fours " und auch das selbstbetitelte Debüt ausgezeichnet hat. Goat Girl machen immer noch Musik für traurige Cowboys. Vielleicht heute mehr denn je.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Words fell out
- Tonight
- Motorway
- Take it away
- Perhaps
Tracklist
- Reprise
- Ride around
- Words fell out
- Play it down
- Tcnc
- Where is your <3
- Prelude
- Tonight
- Motorway
- S.m.o.g.
- Take it away
- Pretty faces
- Perhaps
- Jump sludge
- Sleep talk
- Wasting
Im Forum kommentieren
MickHead
2025-06-11 19:35:28
Die neue EP "Below The Waste - Orchestrated" wird am 18.06. veröffentlicht.
Goat Girl have announced a new EP titled ‘Below The Waste – Orchestrated’, featuring orchestral reimaginings of four tracks from their third album ‘Below The Waste’.
Erster Song "sleep talk (chamber ensemble)"
https://youtu.be/E3VkXdCaCZo?si=e7vHChEKezfCJbCt
MickHead
2024-12-04 12:14:16
Stand-alone Single "Gossip".
Wurde während der Sessions zum Album aufgenommen.
"Gossip"
https://www.youtube.com/watch?v=A6NZx9Woypc
saihttam
2024-10-09 21:37:53
Sehr interessantes Album, aber auch schwer zu fassen. Wunderschöne Popmelodien vermischen sich mit einer leicht abgründigen Grundstimmung, was einen spannenden Kontrast erzeugt. Toll produziert auch mit all den instrumentalen Soundschichten. Hat was sehr eigenständiges. Vollkommen überzeugen tuts mich aber irgendwie trotzdem nicht.
fuzzmyass
2024-08-12 11:32:24
Viel Spaß, ist ne tolle Band!
Kojiro
2024-08-12 09:54:36
Grazie! Werde ich mir heute mal anhören..
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