Eels - Eels time!
E-Works / PIAS / Rough TradeVÖ: 07.06.2024
Vorsicht, zerbrechlich!
Mark Oliver Everett alias E gehört sicherlich zu den ganz wenigen Musikern, denen es gelingt, in superkurzen Songs und noch dazu mit minimaler Instrumentierung ungleich größere Gefühlswelten loszutreten. Wer beispielsweise beim Song "Blinking lights" vom (beinahe) gleichnamigen Album nicht mindestens ein Rührungstränchen vergießt, der kann guten Gewissens als gefühlskalter Pflock bezeichnet werden. Eines der Rezepte, die bei Everett immer wieder aufgehen: Singe mit brüchiger Stimme zu engelsgleichen Harmonien über traurige Dinge, gehe dabei aber nie in Selbstmitleid auf, sondern zeige einen nachgerade trotzigen Überlebenswillen.
"Eels time!" bietet genau das, aber variantenreich, gewitzt und gut gemacht. Wer den oben erwähnten Tränenzieher schätzt, der wird das neue Eels-Album lieben, denn es beherbergt mit "Time", "We won't see her like again", "Haunted hero" und "Song for you know who" gleich vier von diesen intensiven, melancholischen und eben doch kraftvollen Songs. Doch Everett kann auch anders: "Goldy" und "If I'm gonna go anywhere" erinnern im Soundgepräge fast schon an gut abgehangene Philip-Boa-Songs, mit breitbeinig stapfenden Strophen, rauem Gesang und melodiösen Refrains. "Sweet smile" wiederum ist federleichter, lupenreiner Dream-Pop – mit sanft reduziertem Schlagzeug, hippieskem Refrain, Chorgesang und einem ordentlich sägenden Fuzzgitarrensolo. Und in "And you run" könnte man fast meinen, die Go-Betweens hätten sich John Lennon als Gastsänger ausgeborgt. Auch das ist nämlich eine Stärke des Albums: Mark Oliver Everett zeigt hier mal wieder die ungeheure Breitbandigkeit seiner Stimme. Mal nuschelt er im verschrobenen Sprechgesang, mal rasselt, kratzt und schabt sein Organ wie das von Tom Waits – und wenn er in die Kopfstimme geht, dann klingt er plötzlich ganz gefällig und milde. Für Abwechslung sorgt aber auch die stets kreative Instrumentierung: Neben Bass, Gitarre und Drums reichern Kinderglockenspiele, Querflöten, Schellentamburin und ein sachte eierndes Mellotron viele Songs an. So wirkt Rohes und Raues verdaulicher – und allzu Handzahmes wieder ein wenig experimenteller. Und jeder Song wird zu einem kleinen Gesamtkunstwerk.
Die überwiegende Stimmung des Albums ist retrospektiv und zerbrechlich. Das gilt nicht nur für die Musik, sondern auch die Texte. Deren Lektüre lohnt sehr, weil sie in klug gesetzten Metaphern, frei von Pathos und mit äußerster stilistischer Reduktion genau das sagen, was zu sagen ist – ohne ein überflüssiges Wort. Es geht um verflossene oder gescheiterte Liebschaften, gemachte Fehler, verstorbene Menschen, Verzweiflung und Durchhalten, Aufbäumen und Weitermachen. Nie lässt sich der Protagonist hängen, nie suhlt er sich über Gebühr im Elend, denn – und das ist die Botschaft – es gibt immer ein Licht am Horizont. Oder, um das Schlusslied zu zitieren: "Sometimes you gotta make your own luck / Stomp and cheer / Well I'm still here / And you're not gonna see me throw away a day like this." Schöner und simpler kann man eigentlich keinen Trost spenden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Time
- We won't see her like again
- Let's be lucky
Tracklist
- Time
- We won't see her like again
- Goldy
- Sweet smile
- Haunted hero
- If I'm gonna go anywhere
- And you run
- Lay with the lambs
- Song for you know who
- I can't believe it's true
- On the bridge
- Let's be lucky
Im Forum kommentieren
jo
2024-07-02 13:48:01
Ich fand die drei vor den letzten drei schwächer.
heidl
2024-07-02 10:52:04
Für mich auf jeden Fall eine Steigerung. Vielleicht sind es die Melodieläufe oder die Produktion, oder etwas ganz anderes, aber ich finde mich deutlich mehr im neuen Album als in den letzten 3 Werken (The Deconstruction, Earth to Dora, Extreme Witchcraft).
jo
2024-06-19 13:04:50
Ich weiß auch nicht so genau, warum es diesmal mehr Vorschusslorbeeren gab als sonst. Wieder ein solides Album von E, aber für mich (bisher?) kein Großartiges.
The MACHINA of God
2024-06-19 11:32:21
Dann doch wieder (leider) wie eigentlich jedes Album nach "Blinking lights" irgendwo zwischen 6,5 und 7/10.
myx
2024-06-09 22:09:58
Schöner zweiter Umlauf mit Kopfhörer heute. Viel Freude mit "Sweet smile" und "And you run", lange nach wirkt vor allem "On the bridge". Jeder Song des Albums hat etwas für sich.
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Eels (107 Beiträge / Letzter am 02.01.2024 - 20:34 Uhr)