Árstíðir Lífsins - Aldrlok
Ván / SoulfoodVÖ: 31.05.2024
Grenzenlos
Es gibt wohl wenige Regionen, die so von Mythen und Sagen umrankt sind, wie Island. Wohl nicht zuletzt deshalb gibt es dort eine erstaunliche Dichte an Bands, die sich in irgendeiner Form auf die alten Erzählungen berufen. Künstlerinnen und Künstler wie Björk oder Ólafur Arnalds sind da schon fast Mainstream (ohne ihnen zu nahe treten zu wollen), und in der jüngeren Vergangenheit konnte man den Eindruck gewinnen, dass auf der Insel ein unerschöpfliches Reservoir an Vertretern der extremeren Genres besteht. Zumindest sind Sólstafir, Misþyrming oder Fortíð jedem Metal-Feinschmecker ein Begriff. Wenn man etwas tiefer in den Underground hinabtaucht, landet man irgendwann bei Árstíðir Lífsins, einem Trio, das Pagan Metal und Nordic Folk in ein Black-Metal-Gewand kleidet – und lustigerweise überhaupt keine isländische Band ist. Denn hinter den Pseudonymen des Gitarristen "Stefán" und des Drummers "Marsél" verbergen sich die Deutschen Stefan Drechsler und Marcel Dreckmann, die unter anderem bei der Münsteraner Pagan-Metal-Band Helrunar aktiv sind, welche die Band jedoch bereits 2008 mit dem isländischen Multiinstrumentalisten Árni Bergur Zoëga aus der Taufe hoben.
Die Faszination von Árstíðir Lífsins liegt dabei seit jeher darin, dass Songs als solche eher Mittel zum Zweck als individuelle Ausdrucksform sind. Tief verankert in der isländischen Mythologie, sind ihre Alben eher als Gesamtkunstwerk zu verstehen, als Reise in längst vergangene Zeiten mit Geschichten, die entweder auf der Edda oder sonstigen skaldischen Dichtkünsten basieren oder zumindest das Gefühl vermitteln, dass sie sich tatsächlich so zugetragen haben könnten. Entsprechend sperrig gestaltet sich auch das sechste Studioalbum "Aldrlok", dessen Erzählung grob in der Mitte des elften Jahrhunderts angesiedelt ist und den Einfluss der Christianisierung auf die heidnischen Sitten und Gebräuche beschreibt. So zumindest die vorliegenden Informationen, für weiteren Tiefgang sind ab sofort profunde Kenntnisse in Altisländisch von Nöten.
Tatsächlich jedoch ist dieser Umstand der einzige wirklich kauzige Moment, sofern man sich auf das Konzept einlässt und die Reise über fast 83 Minuten vorbehaltlos antritt. Immer wieder baut Frontmann Marsél düster wirkende Beschwörungen ein, trägt sie minutenlang vor sich her, um dann unvermittelt diese getragene Stimmung durch wilde Black-Metal-Schreie förmlich zu zerfetzen. Zornige Blastbeats und klirrend kalte Riffs werden durch traditionelle Folk-Instrumentierung eingefangen und besänftigt, nur um darauf zu warten, endlich wieder ausbrechen zu können. Und plötzlich existieren keine Songgrenzen mehr, plötzlich ist da nur noch Atmosphäre, die fasziniert, die gefangen nimmt, die jegliches Gefühl für Zeit und Raum vergessen lässt, wenn man sich ihr hingibt.
Es gibt Heerscharen an Bands, die vermeintlich Grenzen überschreiten, die sich nicht stilistisch definieren lassen wollen, die aber damit dennoch oftmals nur kaschieren, dass sie ihren Platz, ihre Nische noch nicht gefunden haben. Árstíðir Lífsins sind geradezu abschreckend konsequent, zeigen keinerlei Ambitionen, in irgendeiner Form zugänglich zu sein, und ziehen genau aus diesem Widerspruch zwischen künstlerischem Anspruch und dem Willen, vielleicht doch mal die eine oder andere Platte zu verkaufen, ihre Faszination. Selbst in den wenigen Momenten, in denen die Klanglandschaften etwas zu arg ausgewalzt werden, bleibt das isländisch-deutsche Trio radikal bei seinem Konzept und belohnt genau deshalb mit einem Trip, der erschauern lässt, der mitreißt. Und irgendwann findet sich vielleicht auch mal jemand, der die Lyrics übersetzen kann.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Stormr, hvítundit grand grundar gjálfrs
Tracklist
- CD 1
- Hvítir hjorvar Heimdalls aldraðra fjallgylða
- Stormr, hvítundit grand grundar gjálfrs
- Er faðir kulda ok myrkrs hopar fyrir endalausum vegi Ránar
- Eftir bjartlogar hróts hreggs kveikja ógnarstríðan úlf storðar í grasinu
- CD 2
- Nú er lengstu miskunndir dalreyðar ná hátindi
- Nauð greyprs élreka
- Ek sneri aftr til golfholkvis fleygra sárelda heiftar
- Fyrsta fonnin fellr úr hátunnu regns
- Ofsaveðrsgnýr ber auma bústaði
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Armin
2024-06-05 21:24:12- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Arstíðir Lífsins - Aldrlok (1 Beiträge / Letzter am 05.06.2024 - 21:24 Uhr)